Samstag, 20. Februar 2010

Paha Perhe


© Sandrew Metronome/ Regie: Aleksi Salmenperä
Diese Veranstaltung ist der Tiefpunkt meines diesjährigen Berlinaleprogramms. Diesmal haben sie sogar an der Moderation gespart: es gibt nicht mal jemanden, der in schlechtem Englisch ankündigt, welchen Film aus welchem Land von welchem Regisseur wir jetzt sehen werden. Schwach. Wirklich sehr schwach.
Vielleicht hätte die thematische Einleitung oder die Anwesenheit des Filmteams kombiniert mit einer Q&A dazu geführt, dass mir der Film besser gefallen hätte. So bin ich mir sicher, dass ich in ein paar Wochen komplett vergessen haben werde, worum es eigentlich ging.

Die Geschichte dreht sich um einen Familienvater, der nach dem Tod seiner Exfrau deren gemeinsame Tochter in seinem Haushalt aufnimmt. Dort wohnt auch der gemeinsame Sohn, doch die beiden Geschwister haben sich seit ihrer frühen Kindheit nicht mehr gesehen. Da sie nun beide wild am pubertieren sind und die Hormone nur so sprühen, bleibt es nicht aus, dass sie inzestuöse Gefühle für einander entwickeln. Der Vater ist völlig überfordert und unternimmt alles, um dies zu verhindern. Seine Intervention setzt allerdings schon an einem Punkt ein, an dem das Verhältnis der Geschwister noch als harmlos einzustufen ist, und trägt somit durch seine Radikalität eher dazu bei, dass sich die Situation zuspitzt.

Das Thema Inzest wird dargestellt, ohne die moralische Keule zu schwingen. Selbige wird durch die Darstellung des Vaters eher ironisiert. Es geht meiner Meinung nach auch gar nicht unbedingt um Inzest, sondern um eine alltägliche Situation zwischen Eltern und heranwachsenden Kindern. Der Vater ist den Entwicklungen völlig hilflos ausgeliefert. Er kann sich nicht damit abfinden, dass sein Sohn ihn aus bestimmten Teilen seines Lebens ausklammert und seine Entscheidungen alleine trifft. Dazu kommt das völlige Unverständnis gegenüber einer jüngeren Generation, die kifft und sich tätowieren lässt und das für völlig normal hält. Der Abnabelungsprozess ist hier – wie so oft – für die Eltern schwieriger als für die Kinder.
Natürlich ist es fraglich, ob es moralisch vertretbar ist, das Ende offen zu lassen. Immerhin ist es möglich, dass die beiden Geschwister wirklich eine sexuelle Beziehung miteinander eingehen. Im Prinzip geht es aber meiner Meinung nach gar nicht um die Geschwister, sondern um den Vater. Ihm gilt auch die letzte Szene, in der er einem Autofahrer beim Reifenwechsel hilft, der eigentlich gar keine Hilfe braucht und von diesem unnötigen Beistand total genervt ist. Aber was soll der arme Mann tun, so allein, nachdem der Sohn mit seiner Schwester durchgebrannt ist?! Um wen soll er sich denn jetzt kümmern?

Mir bleibt am Ende vor allem unklar, wofür der Vater so bestraft wird. Er wird nicht nur von seinem Sohn, sondern auch von seiner neuen Lebensgefährtin verlassen und steht buchstäblich im letzten Bild ganz alleine da. Womit er das verdient hat, wird für meinen Geschmack durch die Geschichte nicht deutlich.

Meiner Mutter hat der Film gefallen. Vielleicht versteht sie die Message des Filmes besser als ich. Vielleicht fühlt sie sich auch alleine auf weiter Flur, wenn ich ausnahmsweise mal alles alleine auf die Reihe kriege. Aber zu ihrem Glück passiert das selten!

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Friedensschlag

© Piffl Medien/ Regie: Gerardo Milsztein
Das Kino war für einen Freitagnachmittag erstaunlich leer, was auf einen ziemlich schlechten Film hindeutete. Von daher war ich unterm Strich am Ende positiv überrascht – wenn auch jenseits von „begeistert“.

Die Doku über ein Programm für jugendliche Straftäter in Süddeutschland war thematisch ausgezeichnet, filmisch eher mangelhaft. Mir war das alles ein wenig zu amerikanisch, zu inszeniert. Dramatische Musik versuchte bei mir Emotionen zu wecken, die der Film meiner Meinung nach durch seine Bilder hätte erzeugen sollen. Manche Szenen wirkten für mich gestellt – warum sollte ein Junge ausgerechnet dann zu Hause am Schreibtisch sitzen, wenn der Kameramann gerade zu Besuch ist?! Gerardo, der Regisseur, beteuert, es sei alles echt. Der eben erwähnte junge Mann sitzt bestimmt auch „in echt“ am Schreibtisch, ab und an mal, aber diese konkrete Szene war 100%ig inszeniert (um nicht zu sagen „gestellt“). Die Aufnahmen innerhalb des Projektes „Work & Box“ waren überzeugender, doch konzentrierte sich der Film so stark auf deren Arbeit, dass „Friedensschlag“ fast wie ein Werbefilm wirkt.

Bewundernswert war in jedem Fall, dass der Regisseur es geschafft hat, seinen Protagonisten sehr nah dran sein. Gerardo wirkt aber auch wie so ein Kumpeltyp, jemand der selber mal auf der Straße abgehangen hat und „dieselbe Sprache“ (nämlich schlechtes Deutsch) spricht wie die Jugendlichen. Auch seine klassische Sozpäd-Einstellung – er gibt das Interview aus den ersten Sitzreihen statt von der Bühne, um mit uns auf einer Stufe zu stehen – weckt bei mir den Eindruck, dass er sich nicht zum ersten Mal mit einem solchen Thema beschäftigt. Oder er hat eine Fortbildung mit dem Thema „Doku-Filme über frustrierte Jugendliche ohne Perspektive“ gemacht.

Natürlich bin ich an einigen Stellen von dem was ich sehe gerührt. Aber anders irgendwie als z.B. bei Asheen, der sehr nüchtern war und dadurch irgendwie „echter“ wirkte… falls diese Kategorie in der Bewertung eines Dokumentarfilms überhaupt Sinn macht. Mein Eindruck wird unterstützt durch die Nachfrage eines Halbstarken im Publikum, ob denn alle Szenen real wären und nichts gestellt. Das Publikum schmunzelt. Dabei ist die Frage in diesem Fall sehr berechtigt und der durchschnittliche, intellektuelle Berlinale-Zuschauer hätte sich sicher nicht getraut, sie zu stellen.

Das Projekt „Work & Box“ hat mir gut gefallen, aber mir wird ein weiteres Mal klar, welcher Aufwand betrieben werden muss, um eine Hand voll krimineller Jugendliche zu resozialisieren. Eigentlich ist das viel zu aufwendig! Wir haben viel zu wenige und viel zu schlecht bezahlte Sozpäds, um auf diese Art und Weise Intervention zu betreiben.

Das Entscheidende ist aber, dass „Work & Box“ es schafft, einem Großteil seiner Schützlinge einen Ausbildungsplatz zu vermitteln. Gerardo sagt, der Film solle Jugendlichen zeigen, dass sie etwas an ihrer Situation ändern können! Er soll sie ermutigen, Veränderung anzustreben und Hilfe anzunehmen.
Doch ich frage mich, welcher Jugendliche ohne Perspektive einen solchen Film überhaupt zu sehen bekommt, mal abgesehen von dem aufmerksamen Halbstarken in der 5. Reihe, der aber offensichtlich auf Grund persönlicher Kontakte mit den Protagonisten des Films hier anwesend ist. Wahrscheinlich wird „Friedensschlag“ eher vor einem Publikum (pseudo)intellektueller Filmliebhaber zur Aufführung kommen, die naserümpfend darin nichts anderes sehen als eine anspruchsvolle Version von „Teenager außer Kontrolle“.

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Freitag, 19. Februar 2010

Peepli Live

© Rapid Eye Movies/ Regie:  Anusha Rizvi
Indien ist ein Dritte Welt Land, sagt die Regisseurin beim Nachgespräch. Es wird Zeit, dass Indien das akzeptiert. Das Land bestünde nicht nur aus den großen Städten wie Delhi und Bombay. 70% der Bevölkerung seien auf die Landwirtschaft angewiesen, das müsse die Innenpolitik berücksichtigen.
Die Filmemacherin ist jung und informiert. Sie macht sich Gedanken über die Missstände in ihrem Land. Journalistin möchte sie nicht mehr sein, stattdessen macht sie jetzt Filme. „Peepli Live“ ist der erste. Hier erzählt sie die Geschichte zweier Brüder, die den Landbesitz der Familie retten wollen. Da die Familie eines Selbstmörders eine staatliche Entschädigung erhält, beschließen die beiden, einer der beiden, Natha, solle sich das Leben nehmen. Durch einen Zufall erfährt ein Regionalreporter von diesem Plan und berichtet in der Zeitung darüber. Plötzlich befindet sich Natha in einem riesigen Medienrummel. Das kleine Dorf ist voller Journalisten aus dem ganzen Land, die ihn bis auf die Toilette begleiten wollen. Da die Region kurz den Wahlen steht, wird die Situation der armen Bauern plötzlich zum Politikum und jeder will Natha für seine Interessen nutzen.
Ziemlich traurig eigentlich, wenn das nicht alles so absurd wäre. Die Regisseurin behauptet zwar, sie hätte nicht vorgehabt, einen lustigen Film zu machen, aber ich persönlich nehme ihr das nicht ab. Klar, die Komik entsteht teilweise durch die Nebeneinanderstellung zweier völlig unterschiedlicher, indischer Welten – das kleine Dorf und die Journalisten aus der großen Stadt. Nichtsdestotrotz ist zum Beispiel Nathas Familie sehr überzogen dargestellt. Seine Frau ist boshaft und wird nicht müde, ihn immer wieder als Nichtsnutz zu beschimpfen. Seine Mutter ist krank, insbesondere im Kopf, und ist nur damit beschäftigt, Schimpfwörter umherzuschreien. Natha selbst ist introvertiert, wirkt teilweise geistig zurückgeblieben. Mir kann keiner erzählen, dass das ernst gemeint sein soll. Das ist aber nichts Schlechtes! Mir gefällt die satirische Art und Weise, mit der hier gearbeitet wird, die einen immer im Zweifel lässt, ob Lachen oder doch Weinen die adäquate Reaktion auf das Gesehene wäre.
Der Film macht uns keine Hoffnungen darauf, dass sich etwas an der Situation der Landbevölkerung ändern wird. Da Natha offiziell bei einem Brand ums Leben kommt, wird die Entschädigung nicht ausgezahlt – schließlich handelt es sich nicht um einen Selbstmord. Die Familie wird also voraussichtlich ihr Land verlieren. Zudem wird der einzige der Journalisten, der den Handlungsbedarf erkannt hat, mundtot gemacht, in dem die Regisseurin ihn sterben lässt. Natha, heimlich dem Brand und dem Chaos entkommen, geht in die Stadt, wo er auf einer Baustelle arbeitet. Dort sitzt er genauso geistesabwesend im Staub wie vorher in seinem Dorf. Nichts ändert sich.
Ein unterhaltsamer Film, der zum nachdenken anregt und bis auf kleine Längen im Mittelteil gut erzählt ist. Da der Produzent zumindest in Bollywood bereits bekannt ist, ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass „Peepli Live“ seinen Weg in das eine oder andere deutsche Programmkino finden wird.

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Aisheen [Still Alive in Gaza]

© Solaris/ Regie: Nicolas Wadimoff
Wie der Name schon sagt, geht es um Gaza. Der Dokumentarfilm zeigt die Bewohner Gazas, insbesondere Kinder, nach den Bombardements Anfang 2009. Ohne Kommentar, ohne Interview, beobachtet die Kamera zurückhaltend, was im Krisengebiet vor sich geht.

Was mich am meisten überrascht, ist der fehlende Hass. Im Gespräch mit palästinensischen Kids aus dem Wedding und Moabit bin ich immer wieder auf tief sitzende Aggressionen gestoßen, die sich in Äußerungen wie „Isch setz mich doch nisch mit nem scheiß Juden in einen Raum“ manifestieren. Die Kinder, die ich nun im Film sehe, sprechen ruhig und überlegt. Sie beschreiben, dass sie gerne Ärzte und Ingenieure werden würden, dass die Juden aber daran schuld seien, dass sie jetzt nicht zur Schule gehen könnten und ihnen nur der Weg eines Märtyrers offen stünde. Dabei sind sie aber nicht emotional, nicht aufbrausend, sondern erschreckend nüchtern und überlegt.

Was mich außerdem überrascht ist die Hoffnung. Alle Personen, die uns der Regisseur in dem Film präsentiert, beschäftigen sich mit dem Wiederaufbau – ihres eigenen Lebens, eines Hauses, eines Vergnügungsparks und sogar eines Zoos. Die Menschen schauen nach vorne und nicht zurück. Inmitten ihrer Ruinen stehen sie, weigern sich in die Zeltdörfer der UN zu ziehen, sondern richten sich lieber in ihren zerbombten Häusern ein.

Bei der ausführlichen Q&A wird der Regisseur gefragt, ob er bewusst eine Gegendarstellung zu einem Bild der Palästinenser als Volk von Terroristen geschaffen hätte. Der Filmemacher ist überrascht. Wie man denn darauf käme, dass alle Palästinenser Terroristen seien?! Er habe einfach einen Film über ganz normale Menschen gemacht, sagt er. Wie genau er das angestellt hat, nach Gaza hineinzukommen und dort zu drehen, will er lieber nicht verraten. Es scheint nicht ganz einfach gewesen zu sein. Aber er ergeht sich nicht in Negativbeschreibungen, sondern ist – wie auch sein Film – objektiv. Es geht ihm nicht um die Viktimisierung der Kriegsopfer, er zeigt keine weinenden Kinder, schreienden Mütter, einstürzende Häuser… Aber er klammert sie auch nicht aus: wir sehen Narben, Ruinen, Krankenhäuser und Hilfskonvois.
Der Regisseur will den Film bei einem israelischen Filmfestival zeigen. Das Publikum applaudiert und ist begeistert von diesem mutigen Vorhaben. Und ich gehe aus dem Kino und frage mich, wie man es schaffen kann, den Weddinger und Moabiter Kids ein bisschen von dem Optimismus und der friedlichen Stimmung dieses Films zu vermitteln.

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Donnerstag, 18. Februar 2010

Retratos en un mar de mentiras

© Producciones Erwin Goggel/ Regie: Carlos Gaviria
Nach der großartigen Organisation im Cubix am Nachmittag erwartete mich abends im Babylon wieder das Chaos. Trotz zeitiger Ankunft und Aufenthalt im ersten Drittel des Mobs (ich benutze hier ganz bewusst nicht das Wort „Schlange“), ergatterten wir nur noch Plätze in der vierten Reihe, ganz außen, mit minimalem Blick auf die Untertitel, welche jedoch teilweise weiß auf weiß und von daher nicht besonders hilfreich waren. Der Moderator war gut vorbereitet und ziemlich euphorisch in Anbetracht des gut gefüllten Saals. Er lobte das Publikum für sein allabendliches, zahlreiches Erscheinen und ich fragte mich, warum man sich denn auf diesen Ansturm nicht besser einstellen kann, wenn dieser jeden Abend stattfindet.

Der Film war leider etwas anstrengend, was durch die ungünstige Sitzposition noch verstärkt wurde. Trotz recht passabler Spanischkenntnisse war ich auf Grund der chaotischen Erzählweise auf gut 70% der nicht immer sichtbaren Untertitel angewiesen. Für einen Jugendfilm fand ich das Ganze insgesamt auch ein wenig zu hart. Zwar betonte der Regisseur nach dem Film die Abwesenheit blutiger Exzesse, doch hätte ich persönlich gut auf die minutenlange Szene verzichten können, in der ein junges Mädchen schreiend mit ansehen muss, wie seine Mutter verbrennt. Meiner Meinung nach hat man der Protagonistin ihr Leid angesehen, ohne die genauen Details dieses traumatischen Kindheitserlebnisses zu kennen. Der Gewinnerfilm der letzten Berlinale, „La teta asustada“ hat das für meinen Geschmack wesentlich sensibler und dennoch eindrucksvoller herausgearbeitet.

Wenigstens lässt der Regisseur das Ende derGeschichte offen, so dass wir nicht erfahren, ob die junge Marina das Grundstück ihres Großvaters, von dem sie einst gewaltsam vertrieben wurde, zurückerlangen kann. Das Ende sei offen, so der Filmemacher, weil er das Ende der Geschichte seines Landes nicht kenne. Niemand könne sagen, wie es mit Kolumbien weiter ginge. Aha, denke ich mir, es geht also gar nicht um Marina oder das „Menschsein“, wie der Regisseur immer wieder betont, sondern um Kolumbien, seine Heimat. Trotz scheinbar inniger Liebe zu dieser Nation behauptet er aber, er sei sich über die Präsenz der Gewalt lange nicht im Klaren gewesen, was mich stark an meine Großelterngeneration erinnert („Wir haben das ja alles nicht gewusst!“) und daher nicht überzeugt. Nun lobt er Deutschland für seine „reconciliation“ und meint, es sei genau diese, die Kolumbien ebenfalls brauche. Bei all diesen Ausführungen gestikuliert der Regisseur so stark, dass ihm fast sein Blumenstrauß aus der Hand fliegt. Seine spindeldürre Hauptdarstellerin, die er nicht aufhört für ihre Leistung zu loben, bleibt vergleichsweise ruhig und wirkt außerdem in Bezug auf das Thema des Filmes ziemlich unbeteiligt. („Wir haben das ja alles nicht gewusst!“)
Nein, der Film hat mich nicht überzeugt. Ich habe zwar schöne Landschaftsaufnahmen von Kolumbien gesehen, aber die Geschichte war eindimensional, mit wenig Tiefgang und konnte mich nicht bewegen. In meinen Augen hat der Regisseur zu seinem eigenen Film zu viel Distanz. Er will einen Film über eine Seite seines Landes machen, die ihn schockiert, ihm aber auch fremd ist – und das vermutlich auch bleiben soll. Dass er sich nicht ernsthaft auf sein eigenes Thema einlassen kann und will merkt man dem Film an und verhindert, dass man als Zuschauer selbst dieses traurige Thema wirklich an sich heranlässt.

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Welcome to the Rileys

© Arsenal/ Regie: Jake Scott
Die perfekte Berlinalevorstellung gibt es einfach nicht. Diesmal musste ich nicht anstehen, ich durfte 20 Minuten lang in den bequemen Cubix-Sesseln gemütlich auf den Film warten. Und – das ist ja eigentlich das Wichtigste – ich durfte einen wirklich tollen Film sehen. Aber… nichts ist perfekt. Schon als der Moderator in „sen-se-män-käim-raunt-se-korner“-Englisch den Film ankündigte, war mir klar, dass etwas nicht stimmte. Ein Film vom Sohn von Ridley Scott, mit Twilight-Star „Bella Swan“ in der Hauptrolle wird doch nicht vom Aushilfsmoderator vorgestellt. Es sei denn… weder Scott Junior noch „Miss Swan“ sind anwesend. Ich weiß nicht, ob die Herren und Damen sich zu fein waren oder unser Vampir-Teeny gerade wieder mit Blutsaugern vor der Kamera steht - entscheidend ist aber, dass dies der erste Film auf der diesjährigen Berlinale war, bei dem niemand, wirklich NIEMAND, vom Filmteam da war. Die Frage nach der Q&A erübrigt sich also.

Besonders schade fand ich das Fehlen der Crew deshalb, weil ich gerne durch tosenden Applaus meine Bewunderung zum Ausdruck gebracht hätte. Es ist so schön, dass auch die US-Amerikaner in der Lage sind, anspruchsvolle Filme zu machen. Das hatte ich nach „Father of Invention“ ja gar nicht mehr für möglich gehalten. Und „Welcome to the Rileys“ ist nicht nur anspruchsvoll, sondern ergreifend. Zum ersten Mal dieses Jahr flossen mir die Tränen… in Bächen. Ich wollte mich in meiner Scham im Liegesitz verstecken, hatte aber natürlich das einzige schlecht geölte Exemplar erwischt, das bei meinen Versuchen, mich immer tiefer hineinzulehnen schrecklich zu quietschen anfing und mich komplett enttarnte.

Aber ich stehe dazu, dass mich diese Geschichte berührt hat. Es geht um ein Ehepaar, das vor vielen Jahren seine 15-jährige Tochter durch einen Autounfall verloren hat. Seitdem geht die Mutter nicht mehr aus dem Haus und der Vater hält sich eine Geliebte. Als diese jedoch an einem Herzinfarkt stirbt, fliegt bei Daddy endgültig die Sicherung raus und er fährt nach New Orleans, wo er sich einen Tochter-Ersatz in der Person einer 16-jährigen Stripperin sucht. Das wiederum gibt seiner Frau einen Anlass, endlich mal wieder das Haus zu verlassen und ihm nachzureisen. Kurz scheint es, als würden die drei gemeinsam eine kleine Familie gründen können, doch die Zerwürfnisse zwischen den Eheleuten sind zu groß, um auch noch das völlig verwahrloste Gör zu resozialisieren. Trotzdem findet der Film ein Ende, das zwar nicht unbedingt „happy“, aber doch optimistisch ist.

Mit einem Kloß im Hals und noch ganz benommen schlurfte ich aus dem Kino und fühlte mich selbst wie eine orientierungslose 16-jährige Stripperin auf der Suche nach einem asexuellen Sugar-Daddy. Dass der Film die Identifizierung mit einer solchen Figur so erleichtert, macht für mich seine Qualität aus. Großartig.

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Mittwoch, 17. Februar 2010

Aarekti Premer Golpo

© Cinemawalla
Regie: Kaushik Ganguly
, Rituparno Ghosh
„Und es hat zoom gemacht…“ Ich habe meinen diesjährigen Lieblingsfilm gefunden. Bisher zumindest. Der indische Film über eine androgyne Theaterlegende hat es mir angetan. Erstmals beim diesjährigen Festival ging mir eine Geschichte wirklich ans Herz. Der Hauptdarsteller, seines Zeichens ebenfalls das, was man hier zu Lande eine „Transe“ nennt, hat mich nicht nur schauspielerisch, sondern auch menschlich überzeugt. Zunächst hielt ich ihn für eine affektierte Filmdiva. Die gesamte Attitüde, mit der er die Bühne betrat, schrie nach Tunte und „heiti-teiti“. Weit gefehlt. Als Redeführer der Filmcrew lieferte er sich – auf Englisch – einen verbalen Schlagabtausch mit einem indischen Zuschauer, der sich in seinem Nationalstolz dadurch gekränkt fühlte, dass über die Schwierigkeiten der Homosexualität in Indien geredet wurde. Aber darum soll es hier jetzt nicht gehen.

Der Film handelt von einem Filmemacher, der sich selbst als drittes Geschlecht bezeichnen würde und über die bereits erwähnte bengalische Bühnenlegende einen Film drehen will. Es mischen sich nun Szenen aus der Lebensgeschichte des Schauspielers mit den Geschehnissen während der Dreharbeiten und es entsteht eine Parallele zwischen den beiden Figuren. Der Ältere beschreibt sich selbst als Mensch im falschen Körper, der Regisseur bezeichnet sich als drittes Geschlecht. Die Veränderung der Geschlechtsparadigmen im Laufe der Generationen wird hier deutlich. Schauspieler wie auch Regisseur leiden aber beide, unabhängig von der Generation, unter der unerfüllten Liebe zu verheirateten Männern, die nicht mutig genug sind, sich endgültig für ihre „schwule“ Beziehung zu entscheiden. Beide kämpfen in ihrem eigenen epochalen Umfeld gegen unterschiedliche Widerstände und doch um dieselbe Sache: sie selbst sein zu dürfen.

Der männliche Hauptdarsteller des Films mimt dabei sowohl den Regisseur als auch die jüngere Version des bengalischen Theaterschauspielers, was die Parallele der beiden Figuren verstärkt und sie in eine Person zusammenfließen lässt. Am Ende wird die Unterscheidung dieser beiden Filmebenen auch durch die Veränderung der Lichtfarbe aufgehoben.

Was genau aber hat mich nun so fasziniert? Es ist natürlich auch das exotische der Geschichte. Ein Film über eine traurige Transe aus Deutschland hätte mich vermutlich weniger berührt. Aber es ist gerade das Setting in Indien und die damit verbundene Tradition, die das Thema Homosexualität bzw. Transsexualität gleichzeitig abnorm und natürlich verhandeln kann. Denn wie eine Frau im Publikum beim Nachgespräch sagte: Vielleicht sind wir in Deutschland Homosexualität gegenüber aufgeschlossener, aber wenn es um Transsexualität oder „das 3. Geschlecht“ geht, schauen wir nach Indonesien, Thailand oder eben Indien. Denn es ist dort, wo Männer in Frauenkleidern Teil einer Tradition darstellen und diese kulturelle Praxis nicht per se als Perversion betitelt wird. Wie der schon erwähnte wütende Inder wahrscheinlich zu Recht behauptete, stammen die konservativen Ansichten in Bezug auf Homosexualität von den Kolonialmächten, nicht aber aus der asiatischen Kultur selbst.

Mich hat die Geschichte so oder so berührt, egal, wer hier wem Steine in den Weg legt. Die Figuren der beiden Transsexuellen, wie ich sie der Einfachheit halber mal betiteln will, sind beide komplex gezeichnet und keine Märtyrerfiguren, die uns zu irrationalen Gefühlsausbrüchen geleiten sollen. Beide sind sie auf ihre Art und Weise arrogant, zickig, manchmal gar boshaft, aber dennoch liebenswert. Der Schmerz der Ablehnung, den beide erfahren, ist für den Zuschauer fühlbar. Und es ist dieser Schmerz der Ablehnung, den jeder unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung nachempfinden kann. Und deshalb funktioniert die Geschichte meiner Meinung nach auch trotz aller Exotik und typisch indischer melodramatischer Überzeichnung.

Ein sehr mutiger Film, der sich nicht verstellt, sondern originär indisch und originär „schwul“ ist und mich mit dieser außergewöhnlichen Kombi auf ganzer Linie überzeugt hat.

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Besouro

© Cult Movie Entertainment/ Regie: João Daniel Tikhomiroff
Während des Vorspanns zu diesem brasilianischen Panorama-Film kommt auf Grund der nicht enden wollenden Anzeige verschiedener Geldgeber ein ironischer Spontanapplaus auf. Nach dem Film ist der Applaus deutlich verhaltener. Aber so schlecht war er eigentlich gar nicht.

„Besouro“ versucht brasilianisch zu sein, indem die synkretistische, afrobrasilianische Kultur in einen genreübergreifenden Film übersetzt wird, in dem sich Kampfkunst und Fantasy mischen. Allerdings wirkt das auf mich weniger brasilianisch, als asiatisch. Dieser Eindruck bestätigt sich später, als der Regisseur erzählt, er habe für die Capoeira-Choreographien eigens Martial-Arts-Profis aus China eingeflogen! Die hätten zwar nur Mandarin gesprochen, aber die Kommunikation mit Händen und Füßen hätte sehr gut funktioniert und würde darüber hinaus ja auch gut zum Thema des Films, Capoeira, passen.

Zusätzlich zum starken östlichen Einfluss ist ein deutlicher nordamerikanischer Einfluss zu spüren. Während die Sklaven in weißen Gewändern ihren Tanzriten nachgehen, werden sie immer wieder von bösen spanischen Cowboys mit schwarzen Hüten gestört. Die Sexualisierung des schwarzen Körpers setzt spätestens ab der Hälfte des Films ein, wenn der Hauptdarsteller nur noch oben ohne und ordentlich eingeölt auftritt. Unnötig zu sagen, dass der Regisseur selbst weder afrobrasilianisch, noch indigen ist, sondern ein weißer Hispanier mit schwarzem Cowboyhut.

Der Auftritt diverser Götter aus dem Candomblé Kult im Film stößt beim Publikum auf Unverständnis und ich fühle mich total prädestiniert, dass ich auf Grund meines abgeschlossenen (!) Lateinamerikanistikstudiums weiß, mit wem oder was ich es da zu tun habe. Deswegen kann ich den Part der Geschichte, der in Richtung Fantasykino geht, sehr genießen. Von den Capoeira-Performances bin ich eher enttäuscht. Der Einfluss der chinesischen Berater ist deutlich zu spüren. Darüber hinaus wird die traditionelle Capoeira-Musik an vielen Stellen leider „verrockt“.

Als der Regisseur am Ende zur Q&A die Bühne betritt, wundert mich das alles nicht mehr. Er berichtet, bisher nur in der Werbung gearbeitet zu haben und seine gesamte Präsenz erinnert mich sehr an den Protagonisten aus „Father of Invention“. Sein Redeschwall nimmt keine Rücksicht auf die glücklicher Weise immens begabte Übersetzerin, die seine minutenlangen englischen Ausführungen ins „brasilianische“ (wie der Moderator sagt) übersetzt, damit auch der Rest des Filmteams verstehen kann, worum es geht. Hauptdarstellerin und Hauptdarsteller, natürlich der afrobrasilianischen Ethnie zugehörig - darf man Ethnie sagen? Was soll ich sonst sagen? Neger? Ich hasse diesen Zwang zur political correctness! Wie soll ich die denn nun nennen? Also nochmal: Hauptdarsteller und Hauptdarstellerin, natürlich maximal-pigmentiert, lächeln stets höflich, wirken sehr sympathisch, sind aber unterm Strich nur Beiwerk eines Produktes, das der Regisseur so komponiert hat, dass es zwar nicht brasilianisch, aber doch weltweit vermarktbar ist. Und mit Vermarktung kennt der Mann sich ja offensichtlich aus.

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Dienstag, 16. Februar 2010

Parade

© Bees Factory Entertainment/ Regie: Isao Yukisada

Eigentlich hatte ich gar keine Lust ins Kino zu gehen. Ich war körperlich total erschöpft, hatte Rückenschmerzen und eigentlich war es um viertel vor 10 viel zu spät, um überhaupt noch mal aus dem Haus zu gehen. Aber es hat sich gelohnt.
Zum Glück gab es heute nicht nur einen gut vorbereiteten Moderator, sondern auch eine qualifizierte Übersetzerin, denn der Regisseur – obwohl zum zweiten Mal mit einem Film bei der Berlinale dabei – sprach kein Wort Englisch. Während des Eingangsgesprächs und der Q&A kam ich mir ein bisschen „Lost in Translation“ vor, weil die englische Version einer Frage bzw. Antwort immer nur ein Drittel so lang war wie die japanische Übersetzung. In Kombination mit dem Regisseur, der nach seinem Outfit zu urteilen auch direkt aus der Matrix hätte kommen können, hatte allein das Rahmenprogramm schon Unterhaltungswert.

Der Film war anstrengend, aber gut. Die Handlung spielt sich größtenteils in der Wohnküche eines sehr kleinen Apartments ab, das sich vier – später fünf – junge Leute miteinander teilen. Das Tempo des Films ist sehr langsam, es gibt kaum Filmmusik. Für die Gespräche der Leute untereinander wird sich viel Zeit und Ruhe genommen. Das ist manchmal irritierend bis hin zu schwer zu ertragen, lenkt aber die Aufmerksamkeit unweigerlich auf die emotional unterkühlte Stimmung zwischen Leuten, die auf unheimlich engem Raum zusammenleben. Ein Paradox?

Aus meiner eigenen WG-Erfahrung weiß ich, dass man nur weil man zufällig in derselben Wohnung wohnt noch lange nicht befreundet sein muss. Bei den fünf Figuren in diesem Film ist es aber noch extremer. Obwohl sie sich, bis auf einen Mann, gegenseitig von ihren Problemen erzählen, entsteht keine Nähe. Die WG wird mit einem Chatroom verglichen, in dem man kommen und gehen kann, etwas von sich preisgeben kann, aber es nicht klar ist, wie viel virtuelle und wie viel reale Identität von einem Menschen dort präsentiert wird. Daraus wiederum wird die Frage nach der Unterscheidbarkeit von Virtualität und Realität an sich abgeleitet. „Wir kennen alle einen anderen Saturo!“ sagt einer der Mitbewohner über den zuletzt dazu Gestoßenen. Und genauso ist es im wahren Leben auch, denke ich mir und schaue misstrauisch zu meinem Freund hinüber, der wiederum misstrauisch zu mir herüberschaut.

Die Message des Films ist zu dicht, um sie hier genauer wiederzugeben. Am Ende jedoch nimmt die Geschichte noch einmal eine dramatische Wendung, die mich sehr an „American Psycho“ erinnert hat. Was, wenn Du ein Serienmörder bist, und niemanden interessiert‘s? Ist das nicht die Krönung der Einsamkeit?
Auf dem Weg nach Hause bin ich zu müde, um mir Notizen zu machen. Trotzdem habe ich den Film heute Morgen noch klar vor Augen. Ein gutes Zeichen.

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Father of Invention

© Anchor Bay/ Regie: Trent Cooper

Ich hatte mich sehr auf Kevin Spacey gefreut. Der war aber leider nicht da. Ich hatte mich auch sehr auf Heather Graham gefreut. Die war aber leider nicht da. Aber der Film war da. Immerhin.

Nach der Vorstellung – die Hälfte des Publikums stürmt aus mir völlig unerfindlichen Gründen aus dem Kino – kommen Regisseur und anwesende Schauspieler noch einmal nach vorne um Fragen zu beantworten, die keiner stellt. Zum Glück ist die Moderatorin gut vorbereitet und kann das übernehmen. Während die weibliche Hauptdarstellerin, ein junges Püppchen im knallpinken Kleid und 10cm-Highheels, immer wieder betont, wie unglaublich inspirierend die Arbeit mit Kevin Spacey war, schämt sich Victoria Madsen noch immer für ihre gewollt miserable Gesangsperformance im Abspann und macht sich damit unschlagbar sympathisch.

Bis 10 Minuten vor Schluss hatte ich gedachte, ich hätte meinen diesjährigen Lieblingsfilm gefunden. Dann kam die Wende: der berühmt berüchtigte ur-US-amerikanische deux ex machina - die pathetische Rede. Alles was der Film gerade an gut durchdachter Gesellschaftsanalyse, liebevoller Charakterzeichnung und attraktivem Set-Design aufgebaut hatte, fiel in einer großen, klebrigen, rosa Kitschblase zusammen. Wie ein zu groß aufgeblasener Hubba Bubba, der einem überall im Gesicht klebt. Nervig.

Dabei hatte alles so gut begonnen. Spacey spielt gekonnt einen Home-Shopping-Produkte-Erfinder, der durch einen Produktionsfehler sein Vermögen verloren hat. Denn wir wissen ja, dass man in den USA den Hersteller verklagen kann, nur weil man selbst unfähig ist, seine Produkte ordnungsgemäß zu bedienen. Roger, unser Protagonist, ist genau dieser Regelung zum Opfer gefallen. Er hat nicht nur sein Geld, sondern auch das Vertrauen seiner Familie verloren. Nach einem jahrelangen Gefängnisaufenthalt steht er quasi vor dem Nichts und muss in der WG seiner Tochter einziehen, um nicht im Obdachlosenasyl zu versauern. Natürlich haben er und seine Tochter ein schwieriges Verhältnis, schließlich war er mal erfolgreich und beschäftigt und ein schlechter Vater – was ja in Hollywoodfilmen immer zusammengehört (und das im Land des „self-made-man“ Ideals…). Was hier nach einer vorhersehbaren Standard Story klingt, entpuppt sich als sehr amüsant umgesetzte Geschichte. Mit den Charakteren wird liebevoll umgegangen: man lacht mit ihnen und nicht über sie und kann sich so in bestimmten Situationen auch mit ihnen identifizieren – auch ohne persönliche Erfahrungen mit katastrophalen Vater-Tochter-Beziehungen. Mich, die ich diese Erfahrungen ja nun leider habe, hat die Geschichte deshalb so berührt, weil in ihrem Zentrum die Frage der Vergebung steht. Kann ich vergeben? Muss ich vergeben? Hilft mir Vergebung weiter, oder mache ich mich zum Opfer weiterer Verletzungen durch einen unverbesserlichen Idioten? Wenn ich es mir genau überlege, ist die pathetische Rede vielleicht doch gar nicht so deplatziert, sondern ein „unhappy happy ending“, dass unglaubwürdig sein muss, um uns daran zu erinnern, dass sich in der Realität zwischenmenschliche Probleme eben nicht so einfach lösen lassen.

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Montag, 15. Februar 2010

Greenberg

© Universal Pictures/ Regie: Noah Baumbach

Ben Stiller ist ein Gnom. Das ist nur halb so desillusionierend wie die Tatsache, dass Gael García Bernal ein Gnom ist. Und trotzdem hat es mich umgehauen.

Ebenfalls desillusionierend war die Tatsache, dass sie offensichtlich die wechselnden Moderatorinnen der Wettbewerbsfilme wegrationalisiert haben. Scheiß Wirtschaftskriese. Letztes Jahr kamen noch unterschiedliche Damen und Herren um die Filme anzumoderieren, dieses Jahr scheint es immer dieselbe unbegabte Frau zu sein – das Nummerngirl im Abendkleid. Auch diesmal ist ihre Performance mehr als nur peinlich. Immerhin schneidet sie diesmal niemandem das Wort ab. Sie verkneift sich auch das Uri Geller „the stage is yours“ und fordert die Damen und Herren des Filmteams einfach nur dazu auf, doch bitte gerne etwas zu sagen. Aber Ben Stiller hat nur zu sagen, dass es ja so eine Ehre und bla bla bla ist, hier zu sein. Und seine weibliche Kollegin behandelt das Mikro als wäre es aus glühendem Stahl – hektisch reicht sie es zum Regisseur weiter. Der äußert seine Verzweiflung darüber, dass die Filmkopie fehlerhaft gewesen sei und bezeichnet dies selbst als absoluten Albtraum eines Filmemachers. Der arme Mann! So geht auch diese Vorstellung ebenso peinlich zu Ende wie mein letzter Wettbewerbsfilm und Publikum und Crew sind erleichtert, als das Nummerngirl endlich zum finalen Applaus aufruft und alle in den Sonntagabend entlassen werden.

Was mir an dem Film gefallen hat, war der Mut zur realistischen Darstellung. Die Hauptdarstellerin durfte mit Hautunreinheiten und ein paar Pfündchen zu viel auftreten – beides war natürlich bis zur Premiere am heutigen Abend wieder komplett verschwunden. Fast hätte ich sie gar nicht als diejenige welche identifiziert! Schön war, dass die Peinlichkeit bestimmter Momente – das, was der Amerikaner „awkward“ nennt – schonungslos dargestellt wurden. Während uns alle Hollywoodfilme vorgaukeln, der erste Sex mit einem neuen Partner sei immer der absolute Knüller, zeigt uns Greenberg die buchstäblich nackte Wahrheit: nix Knüller, sondern einfach nur „awkward“.

Die schauspielerischen Leistungen sind in Ordnung, richtig umgehauen hat mich das alles aber nicht. Ben Stiller spielt dieselbe Rolle wie immer: den tapsigen Junggesellen, der sich beim Werben um eine Frau verdammt dämlich anstellt, sie am Ende aber trotzdem für sich gewinnen kann. Die weibliche Hauptdarstellerin ist auf der Bühne genauso unsicher und mäuschenhaft wie im Film und passt damit ausgesprochen gut zum Hauptdarsteller von „Howl“.

Bis zum Ende ist mir nicht ganz klar, um was es im Film eigentlich ging. Es gibt natürlich wieder keine Q&A, die das für mich klären könnte. „Hurt people hurt people“ scheint mir hier der zentrale Satz zu sein, den es zu interpretieren gilt. Leider erfahren wir von den Figuren im Film nichts über die Ursprünge ihrer Verletzungen, so dass wir uns mit ihnen nicht identifizieren können. Ben Stiller spielt keinen Menschen, mit dem wir uns vergleichen, aber immerhin einen Menschen, den wir alle kennen: jemanden, der so unsicher und mit sich im Unreinen ist, dass seine Gegenwart alleine schon Unruhe schafft!

Letztendlich hat mich der Film aber nicht berührt, sondern plätscherte an mir vorbei. Das immerhin hat er gut gemacht, denn obwohl es der bislang längste Film in meinem diesjährigen Berlinaleprogramm war, verging die Zeit wie im Flug. Am Ende des Festivals werde ich vergessen haben, worum es eigentlich ging und „Greenberg“ wird mir nur noch im Gedächtnis bleiben als „dieser Film, in dem Ben Stiller mal auf anspruchsvolles Kino macht“.

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David Wants to Fly


© Neue Visionen/ Regie: David Sieveking

Dieser deutsche Dokumentarfilm konfrontiert mich mit Bildern junger Männer, die im Meditationssitz auf und nieder hüpfen. Was als „yogisches Fliegen“ bezeichnet wird, wirkt auf mich wie „Tod der Bandscheibe“ und ich kann mich vor Phantomschmerzen kaum im Kinosessel halten. Diese Art der Erleuchtung wird mir wohl leider verwehrt bleiben.

Vielleicht ist das aber auch ein Glück! Denn die TM – transzendentale Meditation – ist in meinen Augen eine sexistische Bewegung. Und wenn ich sowas schon mal sage.... Sonst hab ich es ja nicht so mit Frauenrechten. In diesem Falle ist es aber doch auffällig, dass die spirituellen Oberhäupter der Bewegung ausschließlich Männer sind. Frauen kommen maximal als Schoßhündchen und Lustobjekte vor – letzteres natürlich nur im Verborgenen. Denn weltliche Freuden stehen der Erleuchtung entgegen. Soll ja auch bloß keinen Spaß machen das Gehüpfe auf dem Steiß.

Die geistigen Führer in weißen Gewändern, die liebevoll „Könige“ genannt werden, assoziiere ich sofort mit aufgeschwemmten katholischen Priestern mit einer Vorliebe für knackige Ministranten. Bäh. Dass David Lynch überzeugter Anhänger dieses Kultes ist, macht das alles nicht besser, sondern nur noch schlimmer, denn nun muss ich bei jedem David Lynch Film daran denken, wie der Regisseur auf dem Teufelsberg in einer spirituellen Zeremonie den Grundstein für eine TM-Universität gelegt hat. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr, denn das Geld für das Grundstück wurde nie bezahlt und so bleibt dieser peinliche Akt vermutlich relativ folgenlos.

Sehr viel ärgerlicher an der ganzen Geschichte finde ich den Fakt, dass Unsummen von Geldern – es wird von mehreren Milliarden geredet (und sicher nicht Rupien) – in die Errichtung angeblicher Meditationszentren fließen, die die Unbesiegbarkeit einzelner Nationen erwirken sollen (durch Meditation natürlich!). Als ob auch nur ein einziges indisches Slumkind durch die stellvertretende transzendentale Meditation eines weißgewandeten Königs mittags satt werden würde. Was fürn Scheiß!

Mal abgesehen davon, dass mich das alles ein wenig umgetrieben hat und David Lynch in meinem Ansehen stark gesunken ist, fand ich diese Dokumentation aber auch nicht sonderlich erhellend, oder besser gesagt „erleuchtend“. Das hätte auch genauso gut eine Doku über Scientology oder christliche Fundamentalisten in den USA sein können. Ist alles irgendwie merkwürdig, schade ums Geld, aber so richtig schockiert hat es mich jetzt nicht. Ich finde es eher traurig, dass es von den ganzen, teilweise recht prominenten Anhängern der „TM“ niemandem auffällt, dass zwar immer von Frieden und Liebe gesprochen wird, aber kein soziales Engagement stattfindet. Das immerhin machen doch Scientology und christliche Fundamentalisten deutlich besser.

Letzten Endes hat mich auch der dokumentarische Anspruch des Films nicht überzeugt. Die Rahmenhandlung der Erleuchtungsgeschichte des Regisseurs besteht aus einer Beziehungskiste, die inszeniert wirkt und meiner Meinung nach nicht wirklich zum Gelingen des Films beiträgt. Im Gegenteil unterminiert die Lovestory die sonst sicher ernst gemeinte Dokumentation.
Kein Vergleich mit Gamma Bak! Aber durchaus unterhaltsam.

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Sonntag, 14. Februar 2010

Schnupfen im Kopf

© GMfilms/ Regie: Gamma Bak
Ich ziehe den Hut vor Gamma Bak. Nicht nur wegen des Namens. Sondern vor allem wegen ihres Mutes, einen so offenen Film über ihre eigenen psychischen Abgründe zu machen. Obwohl sich auf dem Feld der Psychologie im letzten Jahrhundert viel getan hat, sind persönliche Erfahrungen mit psychischer Krankheit immer noch ein Tabuthema. Man ist nicht krank in der westlichen Welt. Man ist es einfach nicht.

Toll ist an Gamma Baks Film, dass sie uns nicht nur auf einer verbalen Ebene von ihren Erfahrungen erzählt, sondern auch durch den Zusammenschnitt unterschiedlichster Filmmaterialien aus einer Zeit von ca. 15 Jahren ein Bild davon liefert, wie ihre Welt funktioniert, wie sie sich und ihr Umfeld wahrnimmt. Sie stellt nicht die Psychose an sich da. Sie stellt IHRE Psychose dar – und das ist noch mutiger.

Obwohl das der erste Forum-Film seit langem war, der mir wirklich gefallen hat, ist „Schnupfen im Kopf“ beim restlichen Publikum weniger gut angekommen. Zu meinem Erstaunen verließen zahlreiche Zuschauer während der Vorführungen den Saal. Wieso? Langweilig war der Film nun wirklich nicht. Vielleicht konnten sich diese Menschen der schonungslosen Realität nicht aussetzen? Aber so richtig schonungslos fand ich den Film eigentlich auch nicht. Vielleicht gehen die Menschen, weil dieser Film sie zwingt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen? Weil man einen solchen Film nicht einfach nur wie einen Blockbuster anschauen und dann umschalten kann?

Gamma stellt sich auf die Bühne und sagt: Ich bin verrückt! Schaut her! Da bin ich!
Ich könnte das nicht.

Denn genauso wie die Leute aus dem Kino gehen, gehen die Menschen aus Deinem Leben, weil sie die „schonungslose Realität“ nicht ertragen, die doch eigentlich gar nicht schonungslos ist, sondern einfach nur… Realität!

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Phobidilia

© Artza Productions/ Regie: Doron Paz, Yoav Paz
Die Berlinale ist ein internationales Filmfestival. Aus der ganzen Welt kommen Filmemacher und Filminteressierte um… im organisatorischen Chaos zu versinken. Mein erster Film begann heute eine halbe Stunde später als angekündigt. Dies hatte nicht nur zur Folge, dass zahlreiche Leute ihren Anschlussfilm nicht mehr rechtzeitig schaffen konnten, sondern auch, dass sämtliche Fluchtwege im Cubix durch die immense Wartschlange zum Kinosaal 9 verstopft waren. Statt uns die bequemen Semi-Liegesessel des Vorführungsraums anzubieten, wurden wir aus völlig unersichtlichen Gründen erst kurz vor Filmbeginn in den Saal gelassen. Dabei – ganz ehrlich – hätte ich in den bequemen Sesseln auch gerne länger als eine halbe Stunde auf den Filmbeginn gewartet! Herrlich! Leider funktioniert das System nur, wenn sich der Typ in der Reihe vor Dir auch richtig hinlegt. Sonst steckt sein Kopf nämlich mitten in den Untertiteln, was bei einem Film auf Hebräisch wirklich lästig sein kann.

Die Minuspunkte in der Organisation werden ausgeglichen durch die gut vorbereitete Q&A nach dem Film. Der Moderator ist gut informiert und kann an jeden Vertreter des Filmteams eine individuelle Frage formulieren – auch wenn nicht jeder Vertreter des Filmteams in der Lage ist eine solche Frage in verständlichem Englisch zu beantworten. Einen Übersetzer gibt es nicht. Dann darf auch das Publikum Fragen stellen, und zeigt mit Fragen wie „Ist die israelische Immobilienbranche wirklich so skrupellos wie im Film?“ dass es sich wirklich emotional auf diesen Film eingelassen hat. Noch getoppt wird diese Frage vom dem schon fast obligatorischen Kommentar eine Person gleicher Nationalität wie die Filmemacher, in diesem Fall eine Israelitin: „Wenn ich diesen Film sehe, bin ich stolz eine Israelitin zu sein!“ Aber darüber darf ich mich ja gar nicht lustig machen. Ich bin ja Deutsche. Als Deutsche darf man sich nicht über Israeliten lustig machen. Denn Israelis sind ja Juden. Über Juden darf ich keine Witze machen. Deshalb muss ich den Film sowieso gut finden. Guter Film!

Nein wirklich! Mir hat der Film sehr gut gefallen, ob israelisch, jüdisch oder was auch immer. Das einzige Manko stellte für mich die muskulöse Statur des Protagonisten dar. Für jemanden, der sich seit Jahren nur in seiner Wohnung aufhält und kein Home-Work-Out betreibt, war der Kerl doch recht schön anzusehen. Offensichtlich ist ihm das bewusst, denn er konnte es sich nicht verkneifen, während der Q&A auch auf seinen tighten body zu sprechen zu kommen.
Der Film war verstörend, weil er so wahr war. Die Fernsehbilder, die in der Wohnung des Protagonisten omnipräsent sind, sind überzogen und spiegeln doch in genau dieser Übertreibung die Realität unseres Nachmittagsfernsehens wider. Erschreckend. Das Chat-Cam-Girl, ewige Wichsvorlage des einsamen Helden, ist in ihrem Mädchentraum-rosa-plüsch-Bettchen eingesperrt, genauso wie der Protagonist in seiner Wohnung. Wie der Regisseur uns nach dem Film erklärt, geht es ihm darum, eine Generation zu zeigen, die sich lieber auf Facebook rumtreibt, als sich mit Freunden zu treffen. Das trifft mich natürlich mitten ins Herz. ICH gehe ja quasi nur zur Berlinale aus dem Haus.

Der Film hat mich fasziniert. Die Musik war klasse, die schauspielerischen Leistungen haben mich total überzeugt und die Tatsache, dass dieser Film mit einem einzigen Setting funktioniert – einem Wohnzimmer – zeugt davon, dass hier jemand etwas von seinem Handwerk versteht. Berührt hat mich auch die dargestellte Parallele zwischen der Wohnung und dem Mutterleib als Orte der Sicherheit und Geborgenheit gegenüber der chaotischen Welt außerhalb. Aber warum ziehen der Protagonist und wir eigentlich das Unterschichtenfernsehen dem angeblichen Chaos der Welt vor? Statt „We are Family“ zu gucken, kann ich doch auch einfach mal nachmittags über den Leopoldplatz laufen!!

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Samstag, 13. Februar 2010

El Mal Ajeno

© CTV International/ Regie: Oskar Santos
Wo sind all die Q&As hin, wo sind sie geblieben? Man geht doch gerade deshalb auf die Berlinale, weil dort die Regisseure direkt nach dem Film sagen, was sie sich dabei gedacht haben und man nicht rätseln muss, ob man die Geschichte und ihre Aussage richtig verstanden hat. Aber auch bei „El Mal Ajeno“ gab es trotz anwesendem Übersetzer kein Publikumsgespräch. Lediglich der Cast wurde auf die Bühne gerufen, alle durften einmal nett lächeln und einen Knicks machen, sich gratulieren lassen, dann stürmte der junge Regisseur von der Bühne und erklärte damit nonverbal die Veranstaltung für beendet. Blumen gabs auch nicht. Dafür trug der rassige Nebendarsteller unter seinem Jackett kein Hemd, sondern nur die pure, männliche Haartracht. Sowas kann sich eben nur ein spanischer Filmstar leisten, ohne endgültig seine Würde zu verlieren.

Der Film war mir zu dramatisch. Zu viel Tränendrüse, Pathos und Dudelmusik. Und trotz dieser ganzen Mittel gab es nur einen einzigen Moment in den viel zu langen 107 Minuten, in dem ich so etwas wie Trauer verspürte (bei Twilight hab ich Rotz und Wasser geheult – nur so anbei! Ich bin also durchaus empfänglich für diese Art emotionaler cineastischer Kriegsführung). Inhaltliche Schwächen konnten durch die überzeugende schauspielerische Leistung nicht ausgeglichen werden. Das Ende war zu einfach, obwohl es kein Happy End war. Und dennoch handelt es sich nicht um das Sirk’sche „unhappy happy ending“, das einen zum Nachdenken anregen soll, sondern um irgendetwas Zuckerwattesüßes, das einem im Magen liegt, ohne dass man weiß warum. Mit seinem heldenhaften Freitod scheint der Protagonist alle Probleme zu lösen und die Welt wieder ins Lot zu bringen. Leider ist dieser Freitod das einzige, das im Film nicht bis in den Exzess dramatisiert wird. So geht der Held dahin, ohne dass wir ihm eine Träne nachweinen. Traurig irgendwie. Andersherum empfinde ich auch keine Bewunderung für seine Tat. Es fehlte der Wendpunkt, etwas das der Geschichte innerhalb dieser 107 Minuten mal ein bisschen Pepp verleiht. Stattdessen folgen Film und Protagonist einem vorhersehbaren Weg, immer geradeaus, langweilig und ziellos.

Was will uns der Film sagen? Weiß ich nicht - es gab ja keine Q&A!! Ich persönlich habe mitgenommen, dass die Heilung äußerer Schmerzen nicht die Heilung innerer Schmerzen bewirkt. Aber das wusste ich eigentlich vorher auch schon.
An dieser Stelle liebe Grüße an meinen Rücken.

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Freitag, 12. Februar 2010

Howl

© Alive/ Regie: Rob Epstein, Jeffrey Friedman
Mein erster Film auf der 60. Berlinale. Was das jetzt genau bedeutet, dass die Berlinale 60 Jahre alt wird, habe ich noch immer nicht ganz verstanden – aber das ist ja für den Filmgenuss zum Glück recht nebensächlich.

Gleich ein Wettbewerbsfilm. Super. „An international premiere“ – erzählt mir die Tante im Abendkleid, die stümperhaft aber immerhin in passablem Englisch die Veranstaltung anmoderiert. „An international premiere“ ist übrigens der Euphemismus für „Film, der schon in seinem eigenen Land gezeigt wurde und nun auf dem europäischen Mark gestestet wird“. Der durchschnittliche Zuschauer weiß das aber natürlich nicht und wähnt sich in Gegenwart eines historisch wichtigen Moments: nicht nur der sagenumwobene Geburtstag der Berlinale, nein, auch noch eine Premiere! Eine Premiere!

Was ich an der Präsentation der Wettbewerbsfilme grundsätzlich nicht verstehe, ist, warum ausgerechnet zu diesen in der Öffentlichkeit stehenden Anlässen gänzlich unfähige und lediglich attraktive B-Promi-Moderatorinnen engagiert werden. Bei einem Film der Panorama-Sektion beispielsweise ist der Moderator stets über den Film informiert. Er kann thematisch relevante Fragen an das Filmteam stellen und eine Publikumsdiskussion leiten. Das Wettbewerbsnummerngirl bringt nur ein Uri-Geller-„the stage is yours“ raus und schneidet dann dem zweiten Regisseur das Wort ab. Schnell wird noch hektisch – offensichtlich ist es dem Veranstalter zu spät aufgefallen – ein Blumenstrauß an die Produzentin überreicht, dann werden alle freundlich aber direkt von der Bühne geschoben. Dreimal betont die Moderatorin im Abendkleid, dass es sich hier um „Academy-Award-Winning-Directors“ handelt – aber für was die ihre Oscars bekommen haben, entzieht sich ihrer Kenntnis. Gut, ich bin ja nicht wegen ihr hier.

Der Hauptdarsteller steht schüchtern neben dem Filmteam und ich muss realisieren, dass er die Rolle des sexuell verunsicherten, latent autistisch verklemmten Dichters nicht genial spielt, sondern tatsächlich einen Stock im Arsch hat. Sehr desillusionierend. Vielleicht darf er deshalb selbst nichts zu dem Film sagen, sondern verlässt wort- und quasi gesichtsregungslos wieder die Bühne.

Aber nun endlich zum Film. Der Film war toll. Ehrlich! Und ideal für solche, die sich schon immer mit der Frage „Was will uns der Dichter eigentlich damit sagen?“ gequält haben. Denn im dargestellten Gerichtsprozess über die Daseinsberechtigung des Gedichtes „Howl“ wird erklärt: „Man kann Lyrik nicht in Prosa übersetzen. Deshalb ist es ja Lyrik.“ Daher ist die Frage nach der Aussage von vorneherein obsolet, denk ich mir, und hätte jetzt gerne meinen Literaturprofessor neben mir, der mich in der Prüfung zu moderner US-amerikanischer Lyrik so in die Pfanne gehauen hat.

Was mich wirklich verstörte, war die Tatsache, dass es diese Gerichtsverhandlung über das Gedicht „Howl“ von Allen Ginsberg wirklich gegeben hat! Im Land der Freiheit und Demokratie wird darüber vor Gericht verhandelt, ob eine bestimmte Wortwahl zum Ausdruck eines bestimmten Gedankens wirklich notwendig ist. Mit der Taktik werden die USA nie zum Land der Dichter und Denker aufsteigen. Aber Stopp. Mir fällt da ein deutsches „Kulturgut“ ein, das selbst ich ursprünglich dafür kritisiert hatte, nur aus brutal ausgekotzten, widerwärtigen Obszönitäten zu bestehen: „Feuchtgebiete“. In „Howl“ wird gesagt, der Autor verwendet das Vokabular, das in seiner Welt verwendet wird, das zu seinen Protagonisten passt. Nein, davon gibt es keine „light-Version“. Denn die Sprache an sich, die Wortwahl, IST „Howl“, ist der Schrei. Marianne Moore war vermutlich schockiert. Ihre große Schaffensperiode war zwar bereits vorbei, jedoch war sie noch immer mit der Revision ihres Schützlings Elizabeth Bishop beschäftigt, aus deren Werken sie Wörter wie „water closet“ aus Sittlichkeitsgründen strich. Und unsereiner ist nicht viel besser, wenn er sich über Charlotte Roche empört und der Meinung ist, man könnte auch ganz liebevolle Wörter dafür finden, um zu beschreiben, wie sich jemand vor dem Analsex einen Duschkopf in den Hintern einführt.

Meine Kritik setzt deshalb an einem ganz anderen Punkt an. Im Gegensatz zu „Standard Operating Procedure“, dessen pseudo-dokumentarischer Anspruch mich auf der Berlinale 2008 in den Wahnsinn getrieben hatte, stellt sich „Howl“ wenigstens als Fiktion dar. Es ist mir jedoch völlig schleierhaft, wieso keine originalen Tonaufnahmen verwendet werden. Es gibt verschiedene Episoden, die sich immer wieder abwechseln und sich auch durch den Stil unterscheiden: die Gerichtsverhandlung in Spielfilmästhetik, eine animierte, psychedelische Animation des Gedichtes, eine Lesung in pseudo-Originalmaterial-Manier, schwarz-weiß Rückblicke und ein erzwungen auf realistisch getrimmtes Interview, das mit Tonband aufgezeichnet wird. Wieso zum Teufel, wenn es doch eine solche Tonaufnahme gibt, wird diese nicht als Voice-Over eingespielt? Wieso ist im gesamten Film, zumindest nicht für mich merklich, NIE Ginsbergs echte Stimme zu hören? Die Beat Generation und Ginsbergs Lyrik leben vom performativen Element, vom lebhaften Vortrag. Warum hört man dann nicht Ginsbergs Stimme? Nun gut, da ja dem Hauptdarsteller keine Möglichkeit gegeben wurde, selbst Stellung zu seinem Film zu beziehen, kann ich nicht mit Sicherheit behaupten, es sei SEINE Stimme im Film. Ich gehe dennoch stark davon aus.

Unterm Strich trotz allem sehr sehenswert. Schöner Auftakt. Ich bin zufrieden.

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