Montag, 25. Juni 2012

Back to the Roots

Sophie's Berlinale wird wieder das sein, was es war: Ein Festival Blog, auf dem Kritiken zu Filmen der Berlinale zu lesen sind.

Aber das ist natürlich nicht das Ende meiner Tätigkeit als Kritikerin, sondern erst der Anfang. Denn nun habe ich mit www.filmosophie.com endlich einen Blog, bei dem der Name auch zum Inhalt passt. Hier findet Ihr ab jetzt alle Filmkritiken, die ich jenseits meines Berliner Festivallebens verfasse, sowie gelegentlich neue Trailer und Wissenswertes aus der Filmwelt. Gemeinsam mit weiteren Autoren werde ich außerdem neben "normalen" Kritiken auch ein paar Kolumnen zu filmverwandten Themen verfassen. Ein Blick auf meine neue Seite lohnt sich also!


Bis bald auf www.filmosophie.com !!

Mittwoch, 20. Juni 2012

Lady Vegas


© Wild Bunch/Regie: Stephen Frears
Bei Filmen über amerikanische Sportarten wie zum Beispiel Moneyball hängt das Verständnis der Handlung eng mit dem Verständnis der Sportart zusammen. Bei Lady Vegas (Originaltitel Lay the Favorite) verhält es sich ähnlich: Nur wer eine rudimentäre Ahnung von Sportwetten hat, könnte bei diesem Film von Stephen Frears (High Fidelity) mitfiebern. Vielleicht.

Beth (Rebecca Hall) hat das Strippen satt und will stattdessen als Cocktail-Kellnerin in den Casinos von Las Vegas arbeiten. Doch dieser immense Karrieresprung gelingt ihr nicht. Stattdessen erlangt sie über Kontakte einen Job bei dem Berufsspieler Dink (Bruce Willis). Wie sich herausstellt, hat die naiv wirkende Beth durchaus eine Begabung für Zahlen und – im Gegensatz zu mir – auch ein Verständnis für das Sportwettenbusiness. Es könnte alles so schön sein, doch Dinks Frau Tulip (Catherine Zeta-Jones) hat natürlich etwas gegen die blutjunge Konkurrentin und zwingt ihren Ehemann, Beth zu entlassen. Die lässt sich aber nicht unterkriegen und will bei der Konkurrenz in New York durchstarten. Schade nur, dass das Glücksspiel in diesem Staat iilegal ist...

Es fällt schwer, einen kurzen Inhaltsabriss von Lady Vegas zu schreiben, denn die Storyline ist Drehbuchautor D.V. DeVincentis nicht sonderlich gut gelungen. Es fehlt der rote Faden, eine klare Agenda der Protagonistin abseits von „ich will mal etwas anderes machen als mich auszuziehen“.  Erst in den letzten zwanzig Minuten kommt so etwas wie Spannung auf, aber auch an dieser Stelle krankt der Film daran, dass nicht jedermann das Wettgeschehen und somit die Brisanz der Situation durchblickt.

Ein Grund dafür, dass es Lady Vegas an keinem Punkt gelingt, sein Publikum mitzureißen, ist die Hauptfigur Beth, die einem vom ersten Moment an ziemlich auf die Nerven geht. Auch wenn die Geschichte im späteren Verlauf behauptet, Beth habe irgendetwas anderes als Hohlraum in ihrem hübschen Köpfchen, erscheint sie von Anfang bis Ende nicht nur naiv, sondern vor allem intellektuell reduziert. Wenn sie mit großen Augen Geldscheine zählt und dabei ausschaut wie ein Kleinkind im Spielzeugparadies, können wir es Tulip nicht verübeln, dass sie genervt mit den Augen rollt. Mir persönlich wäre es auch lieber gewesen, wenn Beths Dialoge etwas kürzer gewesen wären, denn die Quietschestimme, die Rebecca Hall hier an den Tag legt, macht den sowieso schon eher anstrengenden Film nicht angenehmer. Ohne Sympathie für die Hauptfigur aber, deren Schicksal die Handlung bestimmt, muss das Geschehen für den Zuschauer uninteressant bleiben.

Es gibt jedoch auch Highlights in Lady Vegas, namentlich Nebendarsteller Catherine Zeta-Jones und Vince Vaughn, der Dinks Konkurrenten Rosie mimt. Beide spielen zwar überzeichnete Charaktere, legen hierin aber so viel komödiantisches Talent an den Tag, dass die langweilige Story wenigstens durch ein paar Lacher aufgelockert wird. Ein persönliches Highlight war für mich das Wiedersehen mit Laura Prepon, die ich durch die Sitcom Die wilden 70er kennen und schätzen gelernt habe.

Da mir die Romanvorlage von der echten Beth Raymer unbekannt ist, kann ich nicht beurteilen, welchen Anteil Regisseur Stephen Frears und Drehbuchautor DeVincentis am Scheitern dieses Konzepts haben und wie viel auf das Buch selbst zurückzuführen ist. Interessieren würde mich allerdings, ob Beth auch im wahren Leben eine so nervtötende Person ist.

Insgesamt fällt mir kein guter Grund dafür ein, sich Lady Vegas im Kino anzusehen. Die Geschichte ist uninteressant erzählt, die Hauptfigur nicht sonderlich sympathisch. Abgesehen von verhaltenen Lachern über Catherin Zeta-Jones hat der Film keinen größeren Unterhaltungswert vorzuweisen. Wäre er nicht so prominent besetzt, wäre Lady Vegas in meinen Augen ein klarer „direct to DVD“-Kandidat.

KINOSTART: 19. Juli 2012





Dienstag, 19. Juni 2012

Bis zum Horizon, dann links!


© Neue Visionen/ Regie: Bernd Böhlich
Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. Bis zum Horizont, dann links! will die Aufmerksamkeit des Kinopublikums auf eine wachsende, aber medial unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppe lenken: Senioren. Eine sensible und dennoch komödiantische Herangehensweise an das Thema ist Regisseur Bernd Böhlich gelungen. So ganz überzeugen vermag das Endprodukt aber leider doch nicht.

Im Zentrum der Geschichte steht Annegret Simon (Angelica Domröse), die von ihrem Sohn in das Altersheim „Abendstern“ abgeschoben wird, als dieser mit seiner Familie in die USA auswandert. Für Annegret ist dies der Anfang vom Ende - keine neue Phase ihres Lebens, sondern die letzte. Mit ihrer Frustration ist sie nicht alleine. Auch Eckehardt Tiedgen (Otto Sander) hat es leid, sich mit unliebsamen Zimmergenossen zu quälen, nach den Regeln der Heimleitung zu leben und das Leben nur noch als Beobachter zu verfolgen. Bei einem Rundflug über Brandenburg, den die Seniorengruppe gemeinsam unternimmt, kapert Eckehardt daher das Flugzeug und zwingt die Piloten Richtung Mittelmeer abzudrehen.

Es ist Bernd Böhlich hoch anzurechnen, dass er mit seinem Film auch einem jungen Publikum nahebringen will, was das Leben im Altersheim für die Bewohner bedeutet. Annegrets Schmerz über diese letzte Lebensstation, die Einsamkeit der Bewohner, der Verlust der Würde und der Selbstbestimmung werden dem Zuschauer eindrücklich vor Augen geführt. Leider ist Böhlich in seiner Darstellung letztendlich doch zu vorsichtig. Die Seniorenresidenz „Abendstern“ gehört immer noch zu den wohnlichen Ausnahmeeinrichtungen und spiegelt mit Sicherheit nicht den Alltag der meisten Senioren wider. Zudem wirken viele der Darsteller – insbesondere Hauptfigur Annegret – deutlich zu jung für ein Leben im Heim.

Auch an anderen Stellen kann Bis zum Horizont, dann links! nicht überzeugen. So scheint das Altenheim nur über eine einzige Schwester (Anna Maria Mühe als Amelie) zu verfügen, was zwar unter Umständen das reale Betreuungsverhältnis in Pflegeeinrichtungen widerspiegelt, im Rahmen des Films aber dennoch unglaubwürdig wirkt. Auch die Darstellung der Flugzeugentführung hätte noch einer Vertiefung der Absurdität bedurft. Dass ein bewaffneter Rentner eine Propellermaschine kapert, ist an sich ein recht unwahrscheinlicher Vorfall, dessen glaubwürdige Inszenierung dem Regisseur einiges abverlangt. Böhlich scheitert leider kläglich an diesem Unternehmen. Einen weiteren Wermutstropfen stellt die Liebesgeschichte zwischen Amelie und Co-Pilot Mittwoch (Robert Stablober) dar, die nicht halb so viel Charme besitzt, wie die vorsichtigen Annäherungen zwischen den Senioren.

Dass Bis zum Horizont, dann links! nicht überzeugen kann, darf nicht den Darstellern angelastet werden, die – Robert Stadlober ausgenommen – ihren Figuren gekonnt Leben einhauchen. Die junge Schauspielriege muss sich vor den Altstars und ihrem Spiel verbeugen, denn während Domröse und Sander durch ihr Talent beinahe die ihrem Leinwandalter unangemessene Kostümierung ausgleichen, ergeht sich Robert Stadlober in gnadenlosem Over-Acting.

Erwähnenswert ist zudem die wirklich schöne Filmmusik, die das insgesamt ruhige Erzähltempo ausgleicht und den Zuschauer mitreißen kann, auch wenn sie an einigen Stellen vielleicht einen Tick zu sentimental geraten ist.

Am Ende stellt sich vor allem die Frage, warum Schauspieler wie Herbert Köfer und Us Conradi, die sich in einem dem Film angemessenen Alter befinden, in die Nebenrollen verdrängt werden, während die deutlich zu jung besetzten Hauptdarsteller ihnen zu Unrecht die Show stehlen. Herbert Feuerstein ist trotz seiner 75 Jahre auch für den ihm zugedachten Randpart eindeutig zu agil.

Insgesamt ist Bis zum Horizont, dann links! nicht mutig genug, sein Thema angemessen zu präsentieren. An dem Thema Alter wird nur leicht gekratzt, doch statt wahrhaft gebrechlicher Protagonisten werden uns adrett gekleidete Hauptfiguren präsentiert, denen wir nächtliches Bettnässen auch mit viel Wohlwollen nicht abnehmen können. Somit beraubt sich der Film selbst seiner Überzeugungskraft und reduziert das Thema Senioren einmal mehr zu einem müden Lächeln. 

KINOSTART: 12. Juli 2012

Pressespiegel bei film-zeit.de


Mittwoch, 13. Juni 2012

Rock of Ages


© Warner Brothers/ Regie: Adam Shankman
Highschool Musical war gestern – heute ist Rock of Ages! Auch wenn die beiden Protagonisten eher so aussehen, als wären sie aus erstgenanntem Teeny-Streifen entsprungen, empfinde ich Rock of Ages als Erwachsenen-Version dieser Musical-Reihe. Schließlich ist die Besetzung der Hauptfiguren mit den glattpolierten und vollkommen austauschbaren Schauspielern Julianne Hough und Diego Boneta wohl auch weniger ein Versehen als ein ironisches Zwinkern in Hinblick auf die aus Rocker Sicht bemitleidenswerte Pop-Kultur.

Auf dem gleichnamigen Broadway-Musical basierend erzählt Rock of Ages die Geschichte eines einschlägigen Etablissements, dem „Bourbon Room“, dessen Existenz auf dem Spiel steht. 1987 sind es die Rocker, die für den moralischen Verfall von Los Angeles verantwortlich gemacht werden. An vorderster Front kämpft die Bürgermeistersfrau (Catherine Zeta-Jones) für die Schließung des Rock-Clubs. Ladenbesitzer Dennis (Alec Baldwin) und seine rechte Hand Lonny (Russel Brand) sehen ihre letzte Chance im Abschiedskonzert der sagenumworbenen Band „Arsenal“, deren Leadsänger Stacee Jaxx (Tom Cruise) nun eine Solokarriere starten will. Doch der listige und durchtriebene Manager Paul (Paul Giamatti) macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Ach ja, und dann ist da noch diese Lovestory von diesem jungen Mädchen vom Lande (Julianne Hough als Sherrie), die im „Bourbon Room“ als Kellnerin anfängt und sich in ihren Kollegen (Diego Boneta als Drew) verliebt.

Ja, die Handlung ist nicht das Aushängeschild von Rock of Ages. Ein Musical schaut man sich ja aber auch nicht wegen der atemberaubenden Handlungstwists an, sondern wegen der Musik! Und die konnte zumindest mich durchgehend begeistern. Dass die großen Rockklassiker allesamt „eingepopt“ sind, schmälert den Genuss ein wenig, doch wer sich schon bei den ersten Tönen von „More Then Words“ zur Jugendliebe zurück träumt und zu den Akkorden von „We built this city“ das Luftschlagzeug bespielt, dem wird Rock of Ages trotzdem Spaß machen.

Knallharte Rockmusik und das Musical-Genre passen eben auch einfach nicht besonders gut zusammen. Wo Catherine Zeta-Johnes das Bein in erstaunliche Höhen schwingt, können keine plärrenden Gitarrensolos erklingen. Dass Rock of Ages sich in dieser ungewöhnlichen Mischung selbst nicht ganz ernst nimmt, zeigt vor allem die Liebesgeschichte zwischen Drew und Sherrie. Die Locken des ersteren lassen sich am besten als Prinz-Eisenherz-Gedenkfrisur bezeichnen und Sherries Outfit unterscheidet sich auch nicht wesentlich von dem der jungen Britney Spears. Spätestens  wenn Drew von seinem Manager dazu gedrängt wird, Teil einer Boyband zu werden, ist der kritische Blick auf austauschbare Popsternchen nicht mehr zu übersehen.

Den beiden weitgehend charakterlosen und letztendlich auch vollkommen uninteressanten, weil gesichtslosen, Teeny-Ikonen wird mit Alec Baldwin, Russel Brand, Paul Giamatti, Mary J. Blige und Tom Cruise ein extrem charismatischer Cast gegenüber gestellt. Trotz all meiner Vorbehalten gegen Tom Cruise muss ich seine Darstellung des exzentrischen Rockstars in den höchsten Tönen loben. Er ist Stacee Jaxx durch und durch. Allein seine Körperhaltung drückt die Arroganz der Figur aus, lassen uns den Scientologen vergessen und nur noch den Rockmusiker sehen. Aber vielleicht ist Cruise selbst von seiner Figur gar nicht so weit entfernt. Immerhin wird von Stacee mehrfach behauptet, er würde satanischen Kulten frönen. So viel Selbstironie hätte ich Herrn Cruise wahrlich nicht zugetraut!

Die Selbstironie ist der kritische Punkt an Rock of Ages, denn ohne sie kann diese seichte, von Stereotypen durchsetzte Story auf der Leinwand nicht funktionieren. Leider ist die kritische Distanz des Films zu sich selbst nicht immer gleichermaßen deutlich: Nicht immer ist klar, wo wir ihn ernst nehmen und wo lieber belächeln sollen. Diese kurzen Momente der Irritation reißen uns als Zuschauer vorübergehend aus dem Musik-Universum heraus.

Rock of Ages hat keine große Geschichte zu erzählen, teilt aber großzügig Seitenhiebe auf Möchtegern-Rocker und Pop-Sänger aus. Dazu gibt es viel Musik, die wir alle irgendwoher kennen, mit der wir Erinnerungen verbinden und die für gute Laune sorgt. Wem das für einen gelungenen Kinoabend reicht, der wird definitiv gut unterhalten werden. Und die Moral von der Geschicht’: Rockmusik stirbt niemals nicht!!

Schönstes Zitat:
Sherrie: „I’m a stripper!“
Drew: „I’m in a boy band...“
Sherrie: „You win!“

KINOSTART: 14. Juni 2012

Pressespiegel bei film-zeit.de


Dienstag, 5. Juni 2012

Cosmopolis


© Falcom Media/ Regie: David Cronenberg
Ein Milliardär fährt in seiner Limousine durch New York, trifft seine Frau, Geschäftspartner, Berater und beobachtet durch die Fenster des Wagens die Realität, zu der er keine Verbindung mehr spürt. Nicht viel Stoff für einen packenden Film. Und doch hat Cosmopolis von David Cronenberg dieses gewisse Etwas, das uns den Film so schnell nicht aus dem Kopf gehen lässt.

Eric Packer (Robert Pattinson) ist mehr als reich. Gerade denkt er darüber nach, in seinem New Yorker Appartment einen Schießstand zu installieren und eine komplette Kapelle, die ihm auf Grund der dortigen Gemälde gefällt, in seine Behausung umziehen zu lassen. Seine Ehe ist im Eimer, obwohl die Hochzeit erst wenige Monate her ist. Doch das ist nicht das einzige, das sein Leben überschattet. Trotz seines bislang untrüglichen Instinkts hat sich der junge Geschäftsmann verspekuliert. Der Bankrott droht. Und als wäre das noch nicht genug, ist ihm ein Attentäter auf den Fersen. Doch Eric lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und nimmt eine Tagesreise durch New York in Kauf, um den Friseur seines Vertrauens aufzusuchen. Das ist Dekadenz.

Einige Kollegen sind der Meinung, Cronenbergs neues Werk sei mit Dialogen überladen. In der Tat wird Cosmopolis von den Gesprächen der Charaktere dominiert, die auf einem immensen intellektuellen Niveau stattfinden und sich eines Duktus bedienen, der sich jenseits unserer Alltagssprache befindet. Manchmal fühlte ich mich gar an eine dieser modernen Shakespeare-Verfilmungen erinnert, in denen die Sprache nicht zu den Bildern passen möchte. Hat man sich jedoch erst einmal von dem Anspruch gelöst, jede Zeile zu verstehen, verschwimmen die Dialoge zu einem abstrakten Geräuschteppich, in dem nur einzelne Elemente durch Wiederholung eine Bedeutung erfahren. David Cronenberg hat seinen Film ganz bewusst um die Originaldialoge von Romanautor Don DeLillo konstruiert und diese größtenteils wortwörtlich übernommen. Auch wenn die Wortlast hiermit kein Versehen, sondern künstlerische Absicht darstellt, ging mir das pseudointellektuelle Gelaber spätestens nach einer halben Stunde ziemlich auf die Nerven. Nur wenn wir die Dialoge als Werkzeug der Abstraktion begreifen, so glaube ich, ist hinter ihrer scheinbaren Sinnlosigkeit eine Funktion erkennbar.

Cosmopolis spielt in einem Mikrokosmos: Erics Limousine. Eine Schallisolierung verhindert, dass die Geräusche der Außenwelt zur Hauptfigur und uns durchdringen. Die Akustik ist gewöhnungsbedürftig, verdeutlicht jedoch, wie stark der Protagonist von der Realität getrennt ist. Seine Welt ist die Abstraktion: Die Zahlen rattern über die Bildschirme der Limousine und werden trotz ihrer Omnipräsenz meistens ignoriert. Sie sind nicht mehr länger Zeichen für etwas real Existierendes, sondern nur mehr leere Symbole, Simulakren. Auch die gestelzte Sprache und die ausufernden Dialoge - bedeutungsschwanger, doch ohne echten Inhalt - passen in dieses Konzept. Cosmopolis ist eine Abstraktion, die ihren Ausgangspunkt vergessen hat.

Während sich über die filmische Qualität dieses Konzepts streiten lässt, so wird doch eines offenbar: Robert Pattinson kann schauspielern. Es hat mich in hohem Maße überrascht, in seinen regungslosen Gesichtszügen nicht ein einziges Mal den melancholischen Vampir zu entdecken. Sicher kommt es ihm entgegen, dass ihm seine Rolle größtenteils Gleichgültigkeit vorschreibt. Doch auch in den Momenten, in denen sich Eric für einen kurzen Moment aus seiner emotionalen Erstarrung löst, bleibt Pattinson gleichsam glaubwürdig.

Cosmopolis ist ein gelungener Spiegel unserer Zeit, in der die Realität immer absurder zu werden scheint. Wie Eric beobachten auch wir die Welt nur durch Fenster: die Bildschirme unserer TV-Geräte und Computer. Wie er sehen wir dort politische Protestbewegungen und die fast schon religiöse Erhebung berühmter Persönlichkeiten, ohne daran wirklich teilzunehmen. Der Tod eines Superstars rührt uns zu Tränen, während unsere zwischenmenschlichen Beziehungen durch Distanz gekennzeichnet sind. Obwohl Cosmopolis durch seine gestelzten Dialoge und die Ästhetik vollkommen artifiziell wirkt, steckt darin doch eine Menge Wahrhaftigkeit.

Auch wenn wir die bis zu 20 Minuten andauernden Dialogszenen als Stilmittel begreifen, sind gewisse Längen in Cosmopolis nicht von der Hand zu weisen. Es hätte an einigen Stellen einer Raffung bedurft, um die Handlung insgesamt dynamischer zu gestalten. Einen Spannungsbogen sucht man hier ebenso vergebens wie einen zur Identifikation einladenden Charakter. Die Figuren sind zu undurchschaubar, um ihre Gefühlswelt zu ermessen oder gar nachzuvollziehen.

Trotz allem bleibt Cosmopolis in meinen Augen ein beachtlicher, wenn auch absonderlicher Film, den zu verstehen von vornherein der falsche Ansatz ist. Cosmopolis will nicht dekodiert werden, denn es ist ja gerade die Aussage dieses Werks, dass hinter all den Worten und Zeichen kein tieferer Sinn mehr zu finden ist.

KINOSTART 05. Juli 2012

Pressespiegel bei film-zeit.de