Mit dem Oscar hat es nicht geklappt, doch Michelle Williams
zeigt in My Week With Marilyn ohne Frage eine einnehmende Performance. Dabei
steht sie gar nicht im Mittelpunkt der Geschichte, die sich im Grunde um den
jungen Regieassistenten Colin Clark (Eddie Redmayne) dreht, der am Filmset von „Der
Prinz und die Tänzerin“ die Ikone Marilyn Monroe kennenlernt und trotz
Warnungen all seiner Kollegen, ihrem Charme verfällt. Marilyn selbst ist in
diesem Film nicht die überlegene Diva, sondern ein von Unsicherheit und
Einsamkeit geplagtes Mädchen, das in dem jungen Colin vorübergehend einen
tröstenden Begleiter findet.
Michelle Williams gelingt es, ein Kaleidoskop der Gefühle
auf die Leinwand zu bannen. Dabei ist es gar nicht so sehr die Vielzahl an
verschiedenen, manchmal gar widersprüchlichen Emotionen, sondern die Komplexität
der gezeigten Gefühlslagen, die begeistert. In ihrem Gesicht spiegelt sich
nicht nur der Spaß am Rampenlicht, sondern gleichzeitig auch Stress, Angst und
Einsamkeit. Michelle Williams spielt nicht einfach nur Marilyn Monroe. Sie
spielt Norma Jeane Mortenson wie sie Marilyn Monroe spielt. Wäre alles an My
Week With Marylin so überzeugend wie die Leistung von Michelle Williams, wäre
ein filmisches Meisterwerk geboren. Doch so ist es leider nicht.
Obwohl die Figur der Marilyn Monroe insgesamt gelungen in
Szene gesetzt wird – Musik, Close-Ups, Zeitlupen und Standbilder inszenieren
sie gekonnt als Ikone ihrer Zeit – verschenkt die Dramaturgie an zu vielen
Stellen die Chance, diesem Konzept ausreichend Spannung zu verleihen. So ist es
in meinen Augen ein großer Fehler, Marilyn gleich zu Beginn des Films zu
zeigen, statt den Zuschauer mit den Protagonisten ihrem Auftritt
entgegenfiebern zu lassen. Auch der Rest der Story ist spannungsarm und
erinnert in seiner Bandbreite eher an ein Fernsehspiel als an einen Kinofilm.
Colin Clark ist als Hauptfigur gut gewählt. Im Grunde
handelt es sich um eine Coming of Age Story, in der ein junger Mann sich selbst
auf beruflicher und privater Ebene findet. Durch seine Jugendlichkeit und die
damit verbundenen Sehnsüchte und Unsicherheiten, bildet er eine gute Identifikationsfläche
für den Zuschauer. Während Colins Geschichte den Zuschauer überzeugen kann, ist
Marilyn Monroes Biographie mit Melodramatik und Pathos überladen. Auf der einen
Seite wird sie trotz dargestellter Schwachstellen als geradezu gottgleiche
Ikone erschaffen. Gleichzeitig wird es beim Blick in ihre Kindheit schnell
melodramatisch. Wenn Regisseur Simon Curtis sie mit einem Puppenhaus spielen
lässt, um ihre Sehnsucht nach Familie und Heimat zu demonstrieren, schießt er
eindeutig über das Ziel hinaus.
Die Marilyn Monroe, die wir in diesem Film zu sehen
bekommen, überrascht uns durch ihre Verletzlichkeit. Insbesondere auf dem
Filmset wirkt ihre Darstellung irritierend. Ist sie wirklich so unsicher oder
spielt sie das kleine Mädchen, um Aufmerksamkeit und eine Sonderstellung zu
erreichen? Es ist nur Michelle Williams‘ verlässlicher Schauspielleistung zu
verdanken, dass es dem Film in diesen Sequenzen gelingt, Marilyn Monroe trotz
dieses ungewohnten Verhaltens Glaubwürdigkeit zu verleihen. Der Zuschauer wird
somit in dieselbe Position versetzt wie die Filmcrew auf der Leinwand. Sowohl on-screen
Regisseur Sir Laurence Olivier (Kenneth Branagh) als auch das Publikum im
Kinosaal sind zugleich genervt, verzaubert und irritiert durch das exzentrische
Verhalten der Filmdiva.
Aber nicht nur Michelle Williams, auch der restliche Cast
kann überzeugen. Insbesondere Judy Dench begeistert einmal mehr mit ihrem
Charisma. Emma Watson ist zwar im 50er Jahre Kostüm nett anzusehen, doch ihre
Rolle erlaubt es ihr nicht, sich vom Harry Potter Image zu befreien und als
ernstzunehmende Schauspielerin zu etablieren. Eddie Redmaynes überzeugende
Leistung droht neben der starken Präsenz der weiblichen Hauptfigur unterzugehen,
soll aber hier nicht unerwähnt bleiben.
My Week With Marilyn kann insgesamt leider nicht mit seiner
Hauptdarstellerin Schritt halten. So bleibt Michelle Williams in meinen Augen
leider auch der einzige Grund, sich diesen Film anzusehen.
Wenige Filme werden dieses Jahr
so stark herbeigesehnt wie Die Tribute von Panem. Das Erfolgskonzept, eine
Buchreihe mit jugendlicher Leserschaft als Franchise auf die Leinwand zu
bringen, scheint einmal mehr aufzugehen. Und obwohl die Hardcore-Fans der
Romanreihe von Suzanne Collins beim Thema Twilight Aggressionen entwickeln,
sind die Parallelen der beiden Konzepte doch nicht vollkommen von der Hand zu
weisen.
Auch in Die Tribute von Panem
steht ein junges Mädchen im Mittelpunkt. Es ist Katniss Everdeen (Jennifer
Lawrence), die in einer Welt der Zukunft im ärmsten der zwölf Distrikte von
Panem lebt. Wie jedes Jahr werden durch die herrschende Klasse die sogenannten
Hunger-Spiele inszeniert, ein Fernsehspektakel, bei dem aus jedem Bezirk ein
Mädchen und ein Junge ausgewählt werden, um in einem Kampf um Leben und Tod gegen die Vertreter der anderen Regionen anzutreten. Nur der
Teilnehmer, der alle seine 23 Kontrahenten - den Mitspieler aus dem eigenen Distrikt mit inbegriffen - überlebt, kann als Gewinner
hervorgehen. Um das Leben ihrer kleinen Schwester zu schützen, tritt Katniss
freiwillig an und wird gemeinsam mit ihrem Distrikt-Kollegen Peeta (Josh
Hutcherson) und den Kontrahenten aus den anderen elf Bezirken für den Wettkampf
ausgebildet. Dabei geht es nicht nur um ein Überlebenstraining. Vielmehr muss
sich das Mädchen mehr und mehr die Frage stellen, wie weit es für sein eigenes
Wohl zu gehen bereit ist.
Im Grunde ist Die Tribute von
Panem eine klassische Coming of Age Geschichte, denn Katniss, die als
Einzelkämpferin in die Geschichte eingeführt wird, wächst im Laufe des Films
über sich hinaus. Sie entwickelt ein Verantwortungsbewusstsein für andere
Menschen und die Gesellschaft, in der sie lebt. Kaum ausdifferenziert wird diese
Moral schon durch die Hunger-Spiele auf eine harte Probe gestellt. Auch Peeta,
der zunächst nicht an die Möglichkeit eines Sieges glaubt, muss lernen, sich
selbst zu vertrauen und seine individuellen Stärken zu nutzen. Es geht ums
Erwachsenwerden. Nicht umsonst sind alle Tribute, wie die Teilnehmer an dem
Wettkampf genannt werden, im pubertären Alter zwischen 12 und 18 Jahren. Hiermit
ist wohl auch die Altersspanne der wichtigsten Zielgruppe benannt.
Das Franchise transzendiert sich
selbst
Überhaupt gibt es erstaunlich
viele Parallelen zwischen der Inszenierung des Medienspektakels im Film und der
Vermarktung des Franchise an sich. Schon während der letzten Monate ist Die
Tribute von Panem durch seine großangelegten Werbestrategien aufgefallen.
Niemandem, der sich für das Medium Film interessiert, war es möglich, die
Verfilmung nicht wahrzunehmen. Es wurde sogar eine Nagellackreihe zum Film
eingeführt: Zwölf Farben, die die
verschiedenen Distrikte repräsentieren. Wie die herrschende Klasse im Film, die
sich einen Spaß daraus macht, für ihre Favoriten „Farbe zu bekennen“, können
auch die Fans in unserer Welt ihre Verbundenheit mit den Charakteren auf rein
äußerlicher Ebene demonstrieren. Der Film transzendiert sich selbst, indem er
seine eigenen Strategien auf die Hunger-Spiele überträgt und sie somit ad
absurdum führt. Besonders eindrucksvoll gelingt dies durch die Einführung der
Lovestory zwischen Katniss und Peeta. Um Proteste in Reaktion auf die laufenden
Spiele zu verhindern, beschließen die Veranstalter auf der Handlungsebene, sich
die aufkeimende Liebe zwischen Katniss und Peeta zu Nutze zu machen, um das
Publikum wieder für sich zu gewinnen. Damit fahren sie dieselbe Strategie wie
die Produktionsfirma des Films und letzten Endes auch Collins selbst, die die
Teenager-Lovestory als Publikumsmagneten zu nutzen wissen. Der Medienrummel,
der um die Verfilmung der berühmten Buchreihe veranstaltet wird, steht der
überdrehten Inszenierung der Hunger-Spiele auf der Leinwand in nichts nach. Ob diese Transzendierung ein bewusster Prozess ist, vermag ich allerdings nicht zubeurteilen.
Aber Die Tribute von Panem will definitiv mehr, als nur eine Coming of Age oder Lovestory zu erzählen. Hier
wird eine mögliche Gesellschaft der Zukunft präsentiert, die weit entfernt von
absurd ist. Wie auch heutzutage ersetzt das angeblich dokumentarische Fernsehen die
Realität. Wenn Katniss im Wald durch eine Astloch-Kamera beobachtet wird,
erblassen unsere privaten Sendeanstalten vor Neid auf diese fortgeschrittene
Reality-TV-Technik. Überhaupt sind die Hunger-Spiele in meinen Augen nur eine
konsequente Fortführung dessen, was wir schon jetzt im Privatfernsehen
präsentiert bekommen.
Die mediale Berichterstattung ist
ein Machtinstrument, nicht nur in Panem, wo sie die Kontrolle der herrschenden
Klasse gegenüber den unterprivilegierten Distrikten demonstrieren soll. Auch in
unserer Welt nehmen wir die Realität durch den wohlkonstruierten Filter der
Medien war und merken es oft nicht einmal. Wir sind manipulierbar. Auch unsere Gier nach dem angeblich Authentischen kann den einen oder anderen Menschen
unserer heutigen Gesellschaft dazu verleiten, einem Programm wie den
Hunger-Spielen beizuwohnen. Und authentisch ist interessanter Weise – und auch
das lehren uns RTL2 und Konsorten – was über die Maßen dramatisch, brutal oder
sexy ist.
Emanzipation in der
Teeny-Lovestory
Während der erwachsene Zuschauer
sich dem politischen Subtext widmen kann, konzentriert sich der jugendliche Zuschauer,
insbesondere der weibliche, auf die zarte Liebesgeschichte, die hier zwar deutlich
weniger im Zentrum steht als bei Twilight, dennoch aber eine tragende Rolle
spielt. Wie auch in der Vampirromanze sieht sich die weibliche Hauptfigur mit
zwei unterschiedlichen Männertypen konfrontiert. Da ist der taffe Gale (Liam
Hemsworth), der wie Katniss in den Wäldern zu Hause ist und Pläne für den
Umsturz des Systems hegt und daneben der eher zart besaitete Peeta (Josh
Hutcherson), der in den ersten zwanzig Minuten Screentime stets so aussieht,
als würde er sich gleich in die nächste Ecke zum Heulen zurückziehen. Für
mich sind das Parallelfiguren zum tatkräftigen und impulsiven Werwolf Jacob und
dem gefühlsduseligen Vampir Edward.
Der große Unterschied besteht
hier jedoch in der Frau, die sich zwischen den zwei verschiedenen Männer- oder
vielmehr Jungentypen entscheiden muss. Im Gegensatz zu Bella, die in allen
Teilen der Twilight-Saga durch die männlichen Charaktere wie ein Spielball durch
die Handlung getrieben wird, hat Katniss alle Fäden selbst in der Hand. Wir
lernen sie als ein Mädchen kennen, dass in ihrem Elternhaus die Rolle des
Vaters, des Ernährers übernommen hat. Sie ist so überaus mutig und tapfer, dass
sie sich freiwillig für die Hunger-Spiele anmeldet, um das Leben ihrer
Schwester zu bewahren. Besonders deutlich tritt ihr Grad an Emanzipation aber
im Vergleich mit Peeta zu Tage, der selbst mut- und zuweilen auch hilflos ist.
Sie ist diejenige, die ihn beschützt. An einer Stelle wird sogar die klassische
Mann-Frau-Rollenverteilung aufgebrochen und während Katniss das Abendessen jagt,
geht Peeta Beeren sammeln – und nicht mal das macht er vernünftig. Nachdem
weiblichen Teenagern in den letzten Jahren durch Twilight vorgegaukelt wurde,
dass es ein legitimer Lebenszweck sei, für das Leben als Mutter eines untoten
Kleinkindes auf die Collegeausbildung zu
verzichten, stellt Die Tribute von Panem endlich einen Aufruf zur Emanzipation
für die Altersgruppe zwischen 12 und 18 dar. Nein, liebe Mädchen, es reicht
nicht, sich für die Liebe zu einem blassen Schönling aufzugeben. Selbst ist die
Frau! Kauft euch endlich einen Flitzebogen und jagt eure eigenen Eichhörnchen.
Ein kleiner Schritt für Katniss Everdeen – ein großer Schritt für die
Teenagerinnen des 21. Jahrhunderts.
Fazit – Kritik – Ich komm zum
Punkt
Über die Themenkomplexe Medien,
Machtstrukturen und Geschlechterkonstruktionen könnte ich jeweils einen eigenen
Artikel schreiben. Nicht zuletzt aber dient diese Seite ja auch der Kritik,
weshalb ich noch eine kurze Gesamtbeurteilung nachreichen will.
Ohne das Buch gelesen zu haben,
ist Die Tribute von Panem ein unterhaltsamer Science Fiction Film mit
gelungenen Charakteren, die den Zuschauer für sich einnehmen. Katniss‘
Entwicklung kann fesseln, ihr moralisches Dilemma, das sich im Laufe der
Hunger-Spiele zuspitzt, wird für das Publikum erfahrbar. Als starke Frauenfigur
bildet sie sowohl für männliche, wie auch für weibliche Teenager eine
Identifikationsfigur. Die schon angesprochenen Themenkomplexe und Subtexte
machen Die Tribute von Panem auch für ein erwachsenes Publikum interessant.
In meinen Augen hat der Film nur
ein ernsthaftes Problem. Mit dem Beginn der Hunger-Spiele verlagert sich der
Schauplatz vom optisch interessanteren Setting der futuristischen Hauptstadt in
den Wald. Bis hierhin sorgen gelungene Kulissen und Kostüme für Begeisterung.
Wir können uns an den bunten Farben und abgefahrenen Designs kaum sattsehen.
Dazu sorgt die faschistoide Inszenierung der Welt des Kapitols in unseren Köpfen
für fortwährende Assoziationen und Überlegungen. Kurzum: Selbst ohne Handlung wäre
unser Interesse ausreichend geweckt, um am Ball zu bleiben. Mit der Verlagerung
der Geschichte in den Wald, wird die Aufmerksamkeit der Zuschauer jedoch auf
eine harte Probe gestellt. Im Gegensatz zu der allein auf Grund ihrer Exotik
interessanten Hauptstadt ist der Wald eben nur ein Wald. Daran ändern auch
kleinere Special Effects wie Killerbienen und Monsterhunde kaum etwas. Die Dramaturgie
schafft es geradeso die Spannung trotz des Bruchs im Setting einigermaßen
aufrecht zu erhalten. Doch insgesamt sackt die Qualität des Films nach seinem
steilen Start auf halber Strecke in den Sinkflug ab.
Dass mich Die Tribute von Panem so
gut unterhalten hat, liegt vor allem
daran, dass die Geschichte so viele Anknüpfungspunkte für weitere Überlegungen bietet.
Der Film birgt neben seinem Entertainment-Faktor auch eine Relevanz für die
heutige Zeit und fordert uns dazu auf, den Zusammenhang zwischen Macht und
Medien zu durchdenken sowie unser kommerzielles Zeitalter in Frage zu stellen.
Auch der Liebesgeschichte konnte ich mich – wie schon bei Twilight - nicht
vollkommen entziehen: Ein bisschen Teenager-Liebe ist eben nie verkehrt. Ein
filmisches Meisterwerk liegt auf Grund der dramaturgischen Schwachstellen hier
jedoch nicht vor.
Zu diesem Survival-Thriller mit Schauspiellegende Liam
Neeson in der Hauptrolle fallen mir lauter vollkommen unpassende Phrasen ein.
„Männer allein im Wald“ ist einer davon. Im Grunde ist das dann aber doch zutreffend: Gemeinsam mit seinen Kollegen von der Ölraffinerie im
entlegenen Norden Alaskas stürzt Liam Neeson alias John Ottway mit dem Flugzeug
ab. Die Männer, bis auf Ottway hauptsächlich Ex-Knackis und vergleichbar harte
Kerle, finden sich in einer lebensfeindlichen Schneewüste wider. Viel schlimmer aber als Kälte und Nahrungsknappheit, ist das Wolfsrudel, das sich
durch die Anwesenheit der Menschen bedrängt fühlt und zum Angriff übergeht.
John Ottway, seines Zeichens Wildnisexperte und Scharfschütze, wird schnell
selbst zum Leitwolf der Gruppe und führt sein Rudel in bewaldetes Gebiet, um
Schutz vor den vierbeinigen Gegnern zu finden.
Liam Neeson ist Dreh und Angelpunkt von The Grey. Nicht nur,
dass er mit Abstand das bekannteste Gesicht des gesamten Casts vorweisen kann,
seine Figur steht auch im Zentrum der Story. Dementsprechend komplex ist sie gestaltet.
John Ottway wird nicht nur als mutiger Leithammel mit einem fast verbissenen
Überlebenswillen charakterisiert, sondern auch als emotional gebeutelter Mann,
hinter dessen harter Schale sich ein verletzlicher Kern verbirgt. Die
restlichen Figuren bekommen ein wenig
Tiefe und Menschlichkeit verliehen, wenn ein jeder davon zu sprechen beginnt, wer daheim nun
vergeblich auf ihn wartet. Regisseur und Drehbuchautor Joe Carnahan wirft
hier nicht alle in einen Topf, sondern erschafft individuelle, wenn auch leicht
stereotypisierte Charaktere, die er seiner Hauptfigur zur Seite stellt. Der
Macho-Haudrauf, dessen Unfähigkeit, die eigene Angst einzugestehen, die
Sicherheit der Gruppe gefährdet, ist genauso Teil der Crew wie der Tiefsinnige,
der auf Grund der Lage beginnt, sich Fragen über die Existenz Gottes zu stellen und seine verstorbenen Kollegen mit einem Gebet zur Ruhe bettet.
Obwohl die gesamte, fast zwei Stunden lange Geschichte nur
daraus besteht, dass sich eine Gruppe eingemummter Figuren durch Eis, Schnee
und Wälder schlägt, wird The Grey an keiner Stelle langweilig. Die
Omnipräsenz der Wölfe, die oft nur durch Geräusche oder glühende Augen
angedeutet wird, versetzt uns als Zuschauer ebenso in permanente Anspannung wie
die Menschen auf der Leinwand. Um die Tiere glaubwürdig zu inszenieren, wurden
sowohl echte Tiere, als auch Modelle und CGI verwendet. Im Großen und Ganzen
gelingt es Carnahan damit, uns die Illusion eines echten Wolfsangriffs zu
verkaufen, an einigen Stellen aber fühle ich mich dann doch an Gmork aus Die
unendliche Geschichte erinnert, der mich schon als kleines Kind Mitte der 80er
auf Grund seiner offensichtlichen Künstlichkeit die Augenbrauen hochziehen ließ.
Diese kurzen Momente der Irritation in Anbetracht der Wölfe zerbrechen
vielleicht für eine Sekunde die Illusion, der Spannung des Films jedoch kann
dieses sehr kleine Mängel nichts anhaben.
The Grey macht in meinen Augen nur einen nennenswerten
Fehler. John Ottway ist wirklich der Inbegriff des Helden, der neben
Kraft und Ausdauer auch Verantwortungsgefühl, Empathie und Leitungskompetenz an
den Tag legt. Zum klassischen Helden, z.B. im Western, gehört aber auch eine
Wortkargheit, die wir oft als genuin männlich empfinden. Dass Frauen immer
quatschen während Männer schweigen, ist zwar ein Klischee, aber eines, das
gerne zur Konstruktion von Figuren in Genre-Filmen verwendet wird. Mir scheint,
die Männer in The Grey hätte besser daran getan, diesem Klischee treu zu
bleiben, denn immer wenn sie sich miteinander austauschen oder John Ottways
Stimme als Voice Over ertönt, droht der Film mit der sonst knallharten
Atmosphäre in einen gefühlsduseligen Pathos abzugleiten, der nicht so ganz zum Rest des
Konzepts passen will.
Davon aber abgesehen ist The Grey ein spannendes
Kinoerlebnis, dessen Schneelandschaften auf der großen Leinwand eine
beeindruckende Wirkung erzielen. Damit will ich sagen, dass dies ein Film ist,
den es sich im Kino anzusehen lohnt, statt auf eine DVD zu warten. Starke
Nerven – wenn auch nicht ganz so starke wie die von John Ottway – sollte man
aber mitbringen!
Nach der Pressevorführung zu Türkisch für Anfänger sitze ich
in der Berliner U-Bahn und beobachte eine türkische Familie. Insbesondere der
jüngste Spross erwidert mein Interesse, zeigt unentwegt auf mich und redet wie
ein Wasserfall in einer für mich vollkommen unverständlichen Sprache. Die
Kopftuch tragende Mutter schaut mich besorgt an, ich beruhige sie mit einem
Lächeln, dass mir die Aufmerksamkeit des Kleinen nicht unangenehm sei. Offenbar
beherrscht sie kein Wort Deutsch, denn während wir noch zehn Minuten gemeinsame
Fahrt teilen, lächelt sie mich zwar wiederholt an, sagt aber kein Wort. Das ist
das wahrhaftige Türkisch für Anfänger.
Ich habe die TV-Serie auf der dieser Film basiert, niemals
gesehen. Somit repräsentiere ich den Zuschauer, für den Türkisch für Anfänger
kein Wiedersehen mit liebgewonnenen Charakteren, sondern ein Kinofilm ist, der
für sich alleine stehen muss. Da sich Regisseur und Drehbuchautor Bora Dagtekin
dafür entschieden hat, die Geschichte noch einmal ganz neu aufzurollen, zu
„rebooten“ wie man heutzutage sagt, ist kein Vorwissen über die Figuren von
Nöten, um der Geschichte zu folgen. Lena (Josefine Preuß) und ihre Mutter Doris
(Anna Stieblich) unternehmen eine gemeinsame Reise nach Thailand. Schon auf dem
Weg zum Flughafen begegnen sie dem türkischen Familienvater Metin (Adnan
Maral), seinem Sohn Cem (Elyas M’Barek) und der Tochter Yagmur (Pegah
Ferydoni). Das Aufeinandertreffen der beiden Familien ist nicht von Sympathie
geprägt und so ist es insbesondere für Lena ein Alptraum, dass sie nach dem
Absturz des gemeinsamen Fliegers ausgerechnet mit Cem und Yagmur auf einer
einsamen Insel landet. Während sich Doris und Metin nach ihrer Rettung in einem
Hotel näher kommen, müssen ihre Kinder gemeinsam mit dem Griechen Costa (Arnel
Taci) zahlreiche Abenteuer überstehen, zu denen auch ein Aufeinandertreffen mit
einheimischen Kannibalen gehört.
Bora Dagtekin hat die Figuren schon während ihrer
TV-Karriere als Autor begleitet und seine Vertrautheit mit ihren Eigenheiten
ist spürbar. Auch wenn Türkisch für Anfänger im Grunde eine leichtfüßige,
zuweilen gar platte Slapstick-Komödie ist, überzeugen die Charaktere auf ganzer
Linie. Insbesondere Doris, die sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden
Mitteln gegen das Älterwerden sträubt und gerne mit ihrer Tochter auf Lady Gaga
Konzerte geht, hat trotz all der Übertreibungen einen realistischen Kern, der sie für den Zuschauer sympathisch macht. Und
so verhält es sich mit dem gesamten Ensemble, auch wenn die exzentrisch
dargestellte Lena definitiv das Potential zur Nervensäge hat. Hier wird ganz klar mit
Stereotypen gearbeitet, doch zumindest geschieht das so gekonnt, dass wir uns als
Zuschauer dabei amüsieren und nicht gelangweilt mit den Augen rollen. Allein,
dass Elyas M’Barek nach What a Man und Offroad nun im Grunde schon wieder
dieselbe Rolle spielt, ist etwas eintönig.
Ich habe mir aber nach dem Film die Frage gestellt, ob es
hier wirklich eine Rolle spielt, dass es sich um eine türkische Familie
handelt, oder ob ein Großteil der Spannungen und Konflikte nicht einfach nur
der Tatsache entspringen, dass hier zwei unterschiedliche Familienmodelle
aufeinandertreffen. Mich persönlich, die ich ja selbst im Integrationsbereich
tätig bin, überzeugt diese angebliche Multi-Kulti-Darstellung nicht. Dagtekin
hat nach eigener Aussage bewusst eine stark komödiantische Herangehensweise an das Integrationsthema
gewählt, um einmal mit Humor zu betrachten, was sonst nur Stoff für Melodramen
liefere. Das Lachen jedoch erschafft in meinen Augen eine große Distanz
zwischen uns und den Protagonisten, so dass das Thema Integration nicht mit
Humor beleuchtet wird, sondern vollkommen in den Hintergrund tritt.
Doch diese kritische Herangehensweise ist definitiv die
Falsche für einen Film wie Türkisch für Anfänger, der sein Publikum in erster
Linie unterhalten will. Das Wälzen gesellschaftlicher Probleme oder die
Glaubwürdigkeit der Ereignisse spielen innerhalb dieses Konzeptes eine untergeordnete
Rolle. Und das ist in meinen Augen auch vollkommen in Ordnung. Letzten Endes
ist Komik natürlich Geschmackssache und es gehört eine gewisse Offenheit für
vulgäre und politisch unkorrekte Anspielungen dazu, um bei Türkisch für
Anfänger herzhaft lachen zu können. Der aufmerksame Zuschauer wird aber hinter
all den platten Witzeleien auch die eine oder andere kritische Spitze
entdecken, z.B. meine absolute Lieblingsformulierung „drei Migranten mit einem
deutschen Pass“.
Für Fans der Serie ist die Kinoversion, die mit dem
Cinemascope-Format und dem vor Ort Dreh in Thailand durchaus cineastisch
daherkommt, sicher ein Fest. Für Zuschauer wie mich, die mit dem Film nicht
mehr verbinden als maximal die eigene Lebensrealität im Berliner Wedding, ist Türkisch
für Anfänger eine unterhaltsame, aber recht durchschnittliche Komödie.
Übrigens: Gemeinsam mit MyVideo ruft Constantin Film zu einem Rap-Kontext auf, bei dem es darum geht, sich eine neue Strophe zu Cems angeblichem Nummer 1 Hit "Nutten am Pool" einfallen zu lassen. Das dazugehörige Musikstück und weitere Infos findet ihr hier.
Zwölf Jahre nach dem Erscheinen von Wladimir Kaminers
Erzählband Russendisko, hat Oliver Ziegenbalg die kurzen Episoden aus dem
Berliner Leben der 90er Jahre in einen Kinofilm übersetzt. Er berichtet von den
drei jungen Russen Wladimir (Matthias Schweighöfer), Mischa (Friedrich Mücke)
und Andrej (Christian Friedel), die kurz nach der Wende als russische Juden
Asyl in Ost-Berlin erhalten. Mit dem Verkauf von Dosenbier finanzieren sie sich
ihr bodenständiges Leben zwischen Asylantenwohnheim und der blühenden
Ost-Berliner Künstlerszene. Während Andrej sich mit melancholischer Schwermut
und Heimweh plagt, strebt Mischa eine Musikerkarriere an und der ewig
optimistische Wladimir verliebt sich unsterblich in die Tänzerin Olga (Peri
Baumeister). Doch als alles perfekt scheint, droht Mischa die Ausweisung und
die Freundschaft des Dreiergespanns wird auf eine harte Probe gestellt.
Russendisko ist mehr ein Liebesfilm als eine Komödie,in dessen Mittelpunkt die Geschichte von
Wladimir und Olga steht. Geradezu märchenhaft wird das Kennenlernen der beiden
inszeniert, eine Animationssequenz erzählt uns von Olgas Kindheit im fernen
Russland. Auch die Darstellung der Stadt Berlin ist in ihrer Farbenpracht eher
magisch als authentisch. Zwar finden sich auf dem U-Bahnhof, in dem Andrej sein
Dosenbier vertreibt, die klassischen Berliner Typen, doch wirkt die Stadt
insgesamt eher wie eine Disney-Version ihrer selbst. Statt der grau-braunen
Überreste der DDR-Vergangenheit erstrahlen die Straßen hier in bunten
Regenbogenfarben. Die Betonung liegt ganz klar eher auf der kreativen
Aufbruchsstimmung der neuen Hauptstadt als auf der authentischen Darstellung
des Nach-Wende-Berlins.
Ähnlich verhält es sich mit den drei zentralen Figuren:
Wladimir, Mischa und Andrej sprechen akzentfrei Deutsch und auch ihre Kleidung
will nicht so recht zu der Tatsache passen, dass sie in der Sowjet-Union der
frühen 90er erstanden wurde. Dass sie vielmehr wie drei ganz normale Jungs
wirken, wie sie noch heute durch gewisse Ecken der Hauptstadt laufen –
vielleicht ein bisschen retro, aber das ist ja jetzt schick - bringt ihnen zwar
Sympathiepunkte, geht aber auf Kosten der Authentizität. Matthias Schweighöfer
glänzt einmal mehr mit seinem Bubencharme, ähnelt in seiner Darstellung aber zu
sehr den Figuren seiner letzten Filme, als dass wir auf der Leinwand
irgendjemand anderen sehen könnten als eben Matthias Schweighöfer.
Da die zentrale Figur den Namen des Romanautors Wladimir Kaminer
trägt, entsteht der Eindruck, es handle sich hier um eine Art biographische
Entstehungsgeschichte der Veranstaltungsreihe unter dem Namen „Russendisko“.
Die fehlende Authentizität und die märchenhafte Inszenierung bilden damit
jedoch einen beißenden Widerspruch, der den Zuschauer zunächst irritiert.
Russendisko ist kein Bio-Pic, sondern eine Art Großstadtmärchen, das weder die
Figur Wladimir Kaminer, noch den Schauplatz Berlin realistisch abbilden,
sondern das Publikum mit seiner märchenhaften Atmosphäre und der rührenden
Liebesgeschichten in seinen Bann ziehen möchte.
Partiell kann der Funke überspringen und den romantischen
Zauber transportieren. Insgesamt aber verbleiben die Charaktere zu
eindimensional. Wladimirs unsterblicher Optimismus und seine Lebensfreude, der
auch die größten Tiefschläge nichts anhaben können, bilden zu wenig Anlass, um
sein Schicksal zu bangen. So bleibt Russendisko trotz seiner offensichtlichen
Bemühungen, uns mit Hilfe des Settings und der Musik zu verzaubern, ein seichter
Unterhaltungsfilm, der leider nicht mal besonders komisch ist. Die besten Gags
wurden – wie so oft – bereits im Trailer zusammengefasst und somit
vorweggenommen.