© Prokino/ Regie: Steve McQueen |
Wie der Name schon sagt, geht es um Scham und die vielfältigen Phänomene und Effekte
dieser komplexen Emotion. Weil Scham immer mit dem Erblicktwerden durch einen
anderen verbunden ist, spielen Spiegel und
Fenster in McQueens Inszenierung eine besonders prominente Rolle. Die
Hauptfigur, Brandon, will sich gleichzeitig vor seinen Mitmenschen verstecken
und doch zeigen. Niemand soll herausfinden, von welcher Sucht er getrieben wird
und doch macht es eben diese Sucht notwendig, dass er sich auf dem Markt der
One-Night-Stands immer wieder bestmöglich positioniert und anbietet. Auch das
Erkennen spielt in diesem Zusammenhang eine bedeutsame Rolle, nicht nur im
biblischen Sinne. Brandon (Michael Fassbender) will nicht erkannt werden, weder
von anderen, noch von sich selbst. Die Versuche seiner Schwester Sissy (Carey
Mulligan) ihn auf sich selbst zurückzuwerfen, ihn zum allegorischen Blick in
den Spiegel zu zwingen, rufen nur Aggressionen hervor.
Steve McQueen schafft es, all diese komplexen Emotionen mit
einem Minimum an Handlung und Dialog darzustellen. Bild, Musik und Inszenierung
übernehmen die Aufgabe der Wörter. Mit einer ungeheuren Ruhe begleitet die
Kamera Brandon auf seinen täglichen und nächtlichen Streifzügen und nimmt uns
mit hinein in seine emotionale Welt. Dabei fallen die langen, kaum
geschnittenen Szenen auf – oder besser nicht auf – denn obwohl Filme dieser Art
nicht unseren Sehgewohnheiten entsprechen und daher oft einen
Aufmerksamkeitsverlust des Publikums nach sich ziehen, verlieren wir hier nie
auch nur für eine Sekunde das Interesse an der Hauptfigur. Michael Fassbender
und Carey Mulligan übertreffen sich gegenseitig in der Demonstration ihres
Talents, wenn sie es schaffen, minutenlang ohne Schnitt emotionale Berg- und
Talfahrten auf die Leinwand zu bringen.
Shame ist ein mutiger Film. Nicht nur wegen seines Themas.
Auch in der Darstellung wird hier kein Blatt vor den Mund, bzw. die Kamera
genommen. Gleich zu Beginn sehen wir Michael Fassbender splitterfasernackt,
nicht nur für einen kurzen Augenblick, sondern lange genug, um uns ein gutes
Bild von seiner genitalen Ausstattung machen zu können. Für die Sexszenen nimmt
sich Steve McQueen genauso viel Zeit wie für alles andere, fängt Brandons
Emotionen mit der Kamera ebenso haargenau auf, wie nackte, verschlungene
Körper.
Diese nackten Körper sind jedoch auch ein Wermutstropfen.
Bei allem Mut, aller Freizügigkeit und cineastischer Experimentierfreude fehlt Shame die letzte Konsequenz. Alle Menschen in Shame sind schön. Egal, ob Brandon seine Eroberungen auf der
Straße, in der Firma oder in der Kneipe macht – alle Damen sind nett adrett,
zurecht gemacht, mit perfektem Make-Up und Föhnfrisur. In einer Inszenierung,
die so um Authentizität bemüht ist, stellt das meiner Meinung nach einen Bruch
und somit ein beträchtliches Manko dar.
Abgesehen von einem einzigen dramaturgischen Hänger, der
mich für einen kurzen Moment aus dem Film hinaus in den Zuschauerraum des Kinos
katapultierte, ist Shame ein mehr als nur gelungener Film.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen