© Studiocanal/ Regie: Gary Ross |
Wenige Filme werden dieses Jahr
so stark herbeigesehnt wie Die Tribute von Panem. Das Erfolgskonzept, eine
Buchreihe mit jugendlicher Leserschaft als Franchise auf die Leinwand zu
bringen, scheint einmal mehr aufzugehen. Und obwohl die Hardcore-Fans der
Romanreihe von Suzanne Collins beim Thema Twilight Aggressionen entwickeln,
sind die Parallelen der beiden Konzepte doch nicht vollkommen von der Hand zu
weisen.
Auch in Die Tribute von Panem
steht ein junges Mädchen im Mittelpunkt. Es ist Katniss Everdeen (Jennifer
Lawrence), die in einer Welt der Zukunft im ärmsten der zwölf Distrikte von
Panem lebt. Wie jedes Jahr werden durch die herrschende Klasse die sogenannten
Hunger-Spiele inszeniert, ein Fernsehspektakel, bei dem aus jedem Bezirk ein
Mädchen und ein Junge ausgewählt werden, um in einem Kampf um Leben und Tod gegen die Vertreter der anderen Regionen anzutreten. Nur der
Teilnehmer, der alle seine 23 Kontrahenten - den Mitspieler aus dem eigenen Distrikt mit inbegriffen - überlebt, kann als Gewinner
hervorgehen. Um das Leben ihrer kleinen Schwester zu schützen, tritt Katniss
freiwillig an und wird gemeinsam mit ihrem Distrikt-Kollegen Peeta (Josh
Hutcherson) und den Kontrahenten aus den anderen elf Bezirken für den Wettkampf
ausgebildet. Dabei geht es nicht nur um ein Überlebenstraining. Vielmehr muss
sich das Mädchen mehr und mehr die Frage stellen, wie weit es für sein eigenes
Wohl zu gehen bereit ist.
Im Grunde ist Die Tribute von
Panem eine klassische Coming of Age Geschichte, denn Katniss, die als
Einzelkämpferin in die Geschichte eingeführt wird, wächst im Laufe des Films
über sich hinaus. Sie entwickelt ein Verantwortungsbewusstsein für andere
Menschen und die Gesellschaft, in der sie lebt. Kaum ausdifferenziert wird diese
Moral schon durch die Hunger-Spiele auf eine harte Probe gestellt. Auch Peeta,
der zunächst nicht an die Möglichkeit eines Sieges glaubt, muss lernen, sich
selbst zu vertrauen und seine individuellen Stärken zu nutzen. Es geht ums
Erwachsenwerden. Nicht umsonst sind alle Tribute, wie die Teilnehmer an dem
Wettkampf genannt werden, im pubertären Alter zwischen 12 und 18 Jahren. Hiermit
ist wohl auch die Altersspanne der wichtigsten Zielgruppe benannt.
Das Franchise transzendiert sich
selbst
Überhaupt gibt es erstaunlich
viele Parallelen zwischen der Inszenierung des Medienspektakels im Film und der
Vermarktung des Franchise an sich. Schon während der letzten Monate ist Die
Tribute von Panem durch seine großangelegten Werbestrategien aufgefallen.
Niemandem, der sich für das Medium Film interessiert, war es möglich, die
Verfilmung nicht wahrzunehmen. Es wurde sogar eine Nagellackreihe zum Film
eingeführt: Zwölf Farben, die die
verschiedenen Distrikte repräsentieren. Wie die herrschende Klasse im Film, die
sich einen Spaß daraus macht, für ihre Favoriten „Farbe zu bekennen“, können
auch die Fans in unserer Welt ihre Verbundenheit mit den Charakteren auf rein
äußerlicher Ebene demonstrieren. Der Film transzendiert sich selbst, indem er
seine eigenen Strategien auf die Hunger-Spiele überträgt und sie somit ad
absurdum führt. Besonders eindrucksvoll gelingt dies durch die Einführung der
Lovestory zwischen Katniss und Peeta. Um Proteste in Reaktion auf die laufenden
Spiele zu verhindern, beschließen die Veranstalter auf der Handlungsebene, sich
die aufkeimende Liebe zwischen Katniss und Peeta zu Nutze zu machen, um das
Publikum wieder für sich zu gewinnen. Damit fahren sie dieselbe Strategie wie
die Produktionsfirma des Films und letzten Endes auch Collins selbst, die die
Teenager-Lovestory als Publikumsmagneten zu nutzen wissen. Der Medienrummel,
der um die Verfilmung der berühmten Buchreihe veranstaltet wird, steht der
überdrehten Inszenierung der Hunger-Spiele auf der Leinwand in nichts nach. Ob diese Transzendierung ein bewusster Prozess ist, vermag ich allerdings nicht zubeurteilen.
Aber Die Tribute von Panem will definitiv mehr, als nur eine Coming of Age oder Lovestory zu erzählen. Hier
wird eine mögliche Gesellschaft der Zukunft präsentiert, die weit entfernt von
absurd ist. Wie auch heutzutage ersetzt das angeblich dokumentarische Fernsehen die
Realität. Wenn Katniss im Wald durch eine Astloch-Kamera beobachtet wird,
erblassen unsere privaten Sendeanstalten vor Neid auf diese fortgeschrittene
Reality-TV-Technik. Überhaupt sind die Hunger-Spiele in meinen Augen nur eine
konsequente Fortführung dessen, was wir schon jetzt im Privatfernsehen
präsentiert bekommen.
Die mediale Berichterstattung ist
ein Machtinstrument, nicht nur in Panem, wo sie die Kontrolle der herrschenden
Klasse gegenüber den unterprivilegierten Distrikten demonstrieren soll. Auch in
unserer Welt nehmen wir die Realität durch den wohlkonstruierten Filter der
Medien war und merken es oft nicht einmal. Wir sind manipulierbar. Auch unsere Gier nach dem angeblich Authentischen kann den einen oder anderen Menschen
unserer heutigen Gesellschaft dazu verleiten, einem Programm wie den
Hunger-Spielen beizuwohnen. Und authentisch ist interessanter Weise – und auch
das lehren uns RTL2 und Konsorten – was über die Maßen dramatisch, brutal oder
sexy ist.
Emanzipation in der
Teeny-Lovestory
Während der erwachsene Zuschauer
sich dem politischen Subtext widmen kann, konzentriert sich der jugendliche Zuschauer,
insbesondere der weibliche, auf die zarte Liebesgeschichte, die hier zwar deutlich
weniger im Zentrum steht als bei Twilight, dennoch aber eine tragende Rolle
spielt. Wie auch in der Vampirromanze sieht sich die weibliche Hauptfigur mit
zwei unterschiedlichen Männertypen konfrontiert. Da ist der taffe Gale (Liam
Hemsworth), der wie Katniss in den Wäldern zu Hause ist und Pläne für den
Umsturz des Systems hegt und daneben der eher zart besaitete Peeta (Josh
Hutcherson), der in den ersten zwanzig Minuten Screentime stets so aussieht,
als würde er sich gleich in die nächste Ecke zum Heulen zurückziehen. Für
mich sind das Parallelfiguren zum tatkräftigen und impulsiven Werwolf Jacob und
dem gefühlsduseligen Vampir Edward.
Der große Unterschied besteht
hier jedoch in der Frau, die sich zwischen den zwei verschiedenen Männer- oder
vielmehr Jungentypen entscheiden muss. Im Gegensatz zu Bella, die in allen
Teilen der Twilight-Saga durch die männlichen Charaktere wie ein Spielball durch
die Handlung getrieben wird, hat Katniss alle Fäden selbst in der Hand. Wir
lernen sie als ein Mädchen kennen, dass in ihrem Elternhaus die Rolle des
Vaters, des Ernährers übernommen hat. Sie ist so überaus mutig und tapfer, dass
sie sich freiwillig für die Hunger-Spiele anmeldet, um das Leben ihrer
Schwester zu bewahren. Besonders deutlich tritt ihr Grad an Emanzipation aber
im Vergleich mit Peeta zu Tage, der selbst mut- und zuweilen auch hilflos ist.
Sie ist diejenige, die ihn beschützt. An einer Stelle wird sogar die klassische
Mann-Frau-Rollenverteilung aufgebrochen und während Katniss das Abendessen jagt,
geht Peeta Beeren sammeln – und nicht mal das macht er vernünftig. Nachdem
weiblichen Teenagern in den letzten Jahren durch Twilight vorgegaukelt wurde,
dass es ein legitimer Lebenszweck sei, für das Leben als Mutter eines untoten
Kleinkindes auf die Collegeausbildung zu
verzichten, stellt Die Tribute von Panem endlich einen Aufruf zur Emanzipation
für die Altersgruppe zwischen 12 und 18 dar. Nein, liebe Mädchen, es reicht
nicht, sich für die Liebe zu einem blassen Schönling aufzugeben. Selbst ist die
Frau! Kauft euch endlich einen Flitzebogen und jagt eure eigenen Eichhörnchen.
Ein kleiner Schritt für Katniss Everdeen – ein großer Schritt für die
Teenagerinnen des 21. Jahrhunderts.
Fazit – Kritik – Ich komm zum
Punkt
Über die Themenkomplexe Medien,
Machtstrukturen und Geschlechterkonstruktionen könnte ich jeweils einen eigenen
Artikel schreiben. Nicht zuletzt aber dient diese Seite ja auch der Kritik,
weshalb ich noch eine kurze Gesamtbeurteilung nachreichen will.
Ohne das Buch gelesen zu haben,
ist Die Tribute von Panem ein unterhaltsamer Science Fiction Film mit
gelungenen Charakteren, die den Zuschauer für sich einnehmen. Katniss‘
Entwicklung kann fesseln, ihr moralisches Dilemma, das sich im Laufe der
Hunger-Spiele zuspitzt, wird für das Publikum erfahrbar. Als starke Frauenfigur
bildet sie sowohl für männliche, wie auch für weibliche Teenager eine
Identifikationsfigur. Die schon angesprochenen Themenkomplexe und Subtexte
machen Die Tribute von Panem auch für ein erwachsenes Publikum interessant.
In meinen Augen hat der Film nur
ein ernsthaftes Problem. Mit dem Beginn der Hunger-Spiele verlagert sich der
Schauplatz vom optisch interessanteren Setting der futuristischen Hauptstadt in
den Wald. Bis hierhin sorgen gelungene Kulissen und Kostüme für Begeisterung.
Wir können uns an den bunten Farben und abgefahrenen Designs kaum sattsehen.
Dazu sorgt die faschistoide Inszenierung der Welt des Kapitols in unseren Köpfen
für fortwährende Assoziationen und Überlegungen. Kurzum: Selbst ohne Handlung wäre
unser Interesse ausreichend geweckt, um am Ball zu bleiben. Mit der Verlagerung
der Geschichte in den Wald, wird die Aufmerksamkeit der Zuschauer jedoch auf
eine harte Probe gestellt. Im Gegensatz zu der allein auf Grund ihrer Exotik
interessanten Hauptstadt ist der Wald eben nur ein Wald. Daran ändern auch
kleinere Special Effects wie Killerbienen und Monsterhunde kaum etwas. Die Dramaturgie
schafft es geradeso die Spannung trotz des Bruchs im Setting einigermaßen
aufrecht zu erhalten. Doch insgesamt sackt die Qualität des Films nach seinem
steilen Start auf halber Strecke in den Sinkflug ab.
Dass mich Die Tribute von Panem so
gut unterhalten hat, liegt vor allem
daran, dass die Geschichte so viele Anknüpfungspunkte für weitere Überlegungen bietet.
Der Film birgt neben seinem Entertainment-Faktor auch eine Relevanz für die
heutige Zeit und fordert uns dazu auf, den Zusammenhang zwischen Macht und
Medien zu durchdenken sowie unser kommerzielles Zeitalter in Frage zu stellen.
Auch der Liebesgeschichte konnte ich mich – wie schon bei Twilight - nicht
vollkommen entziehen: Ein bisschen Teenager-Liebe ist eben nie verkehrt. Ein
filmisches Meisterwerk liegt auf Grund der dramaturgischen Schwachstellen hier
jedoch nicht vor.
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