Dienstag, 5. Juni 2012

Cosmopolis


© Falcom Media/ Regie: David Cronenberg
Ein Milliardär fährt in seiner Limousine durch New York, trifft seine Frau, Geschäftspartner, Berater und beobachtet durch die Fenster des Wagens die Realität, zu der er keine Verbindung mehr spürt. Nicht viel Stoff für einen packenden Film. Und doch hat Cosmopolis von David Cronenberg dieses gewisse Etwas, das uns den Film so schnell nicht aus dem Kopf gehen lässt.

Eric Packer (Robert Pattinson) ist mehr als reich. Gerade denkt er darüber nach, in seinem New Yorker Appartment einen Schießstand zu installieren und eine komplette Kapelle, die ihm auf Grund der dortigen Gemälde gefällt, in seine Behausung umziehen zu lassen. Seine Ehe ist im Eimer, obwohl die Hochzeit erst wenige Monate her ist. Doch das ist nicht das einzige, das sein Leben überschattet. Trotz seines bislang untrüglichen Instinkts hat sich der junge Geschäftsmann verspekuliert. Der Bankrott droht. Und als wäre das noch nicht genug, ist ihm ein Attentäter auf den Fersen. Doch Eric lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und nimmt eine Tagesreise durch New York in Kauf, um den Friseur seines Vertrauens aufzusuchen. Das ist Dekadenz.

Einige Kollegen sind der Meinung, Cronenbergs neues Werk sei mit Dialogen überladen. In der Tat wird Cosmopolis von den Gesprächen der Charaktere dominiert, die auf einem immensen intellektuellen Niveau stattfinden und sich eines Duktus bedienen, der sich jenseits unserer Alltagssprache befindet. Manchmal fühlte ich mich gar an eine dieser modernen Shakespeare-Verfilmungen erinnert, in denen die Sprache nicht zu den Bildern passen möchte. Hat man sich jedoch erst einmal von dem Anspruch gelöst, jede Zeile zu verstehen, verschwimmen die Dialoge zu einem abstrakten Geräuschteppich, in dem nur einzelne Elemente durch Wiederholung eine Bedeutung erfahren. David Cronenberg hat seinen Film ganz bewusst um die Originaldialoge von Romanautor Don DeLillo konstruiert und diese größtenteils wortwörtlich übernommen. Auch wenn die Wortlast hiermit kein Versehen, sondern künstlerische Absicht darstellt, ging mir das pseudointellektuelle Gelaber spätestens nach einer halben Stunde ziemlich auf die Nerven. Nur wenn wir die Dialoge als Werkzeug der Abstraktion begreifen, so glaube ich, ist hinter ihrer scheinbaren Sinnlosigkeit eine Funktion erkennbar.

Cosmopolis spielt in einem Mikrokosmos: Erics Limousine. Eine Schallisolierung verhindert, dass die Geräusche der Außenwelt zur Hauptfigur und uns durchdringen. Die Akustik ist gewöhnungsbedürftig, verdeutlicht jedoch, wie stark der Protagonist von der Realität getrennt ist. Seine Welt ist die Abstraktion: Die Zahlen rattern über die Bildschirme der Limousine und werden trotz ihrer Omnipräsenz meistens ignoriert. Sie sind nicht mehr länger Zeichen für etwas real Existierendes, sondern nur mehr leere Symbole, Simulakren. Auch die gestelzte Sprache und die ausufernden Dialoge - bedeutungsschwanger, doch ohne echten Inhalt - passen in dieses Konzept. Cosmopolis ist eine Abstraktion, die ihren Ausgangspunkt vergessen hat.

Während sich über die filmische Qualität dieses Konzepts streiten lässt, so wird doch eines offenbar: Robert Pattinson kann schauspielern. Es hat mich in hohem Maße überrascht, in seinen regungslosen Gesichtszügen nicht ein einziges Mal den melancholischen Vampir zu entdecken. Sicher kommt es ihm entgegen, dass ihm seine Rolle größtenteils Gleichgültigkeit vorschreibt. Doch auch in den Momenten, in denen sich Eric für einen kurzen Moment aus seiner emotionalen Erstarrung löst, bleibt Pattinson gleichsam glaubwürdig.

Cosmopolis ist ein gelungener Spiegel unserer Zeit, in der die Realität immer absurder zu werden scheint. Wie Eric beobachten auch wir die Welt nur durch Fenster: die Bildschirme unserer TV-Geräte und Computer. Wie er sehen wir dort politische Protestbewegungen und die fast schon religiöse Erhebung berühmter Persönlichkeiten, ohne daran wirklich teilzunehmen. Der Tod eines Superstars rührt uns zu Tränen, während unsere zwischenmenschlichen Beziehungen durch Distanz gekennzeichnet sind. Obwohl Cosmopolis durch seine gestelzten Dialoge und die Ästhetik vollkommen artifiziell wirkt, steckt darin doch eine Menge Wahrhaftigkeit.

Auch wenn wir die bis zu 20 Minuten andauernden Dialogszenen als Stilmittel begreifen, sind gewisse Längen in Cosmopolis nicht von der Hand zu weisen. Es hätte an einigen Stellen einer Raffung bedurft, um die Handlung insgesamt dynamischer zu gestalten. Einen Spannungsbogen sucht man hier ebenso vergebens wie einen zur Identifikation einladenden Charakter. Die Figuren sind zu undurchschaubar, um ihre Gefühlswelt zu ermessen oder gar nachzuvollziehen.

Trotz allem bleibt Cosmopolis in meinen Augen ein beachtlicher, wenn auch absonderlicher Film, den zu verstehen von vornherein der falsche Ansatz ist. Cosmopolis will nicht dekodiert werden, denn es ist ja gerade die Aussage dieses Werks, dass hinter all den Worten und Zeichen kein tieferer Sinn mehr zu finden ist.

KINOSTART 05. Juli 2012

Pressespiegel bei film-zeit.de 




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