Montag, 20. Februar 2012

Die Post-Berlinale-Depression



Bei der Post-Berlinale-Depression handelt es sich um ein Krankheitsbild, das in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erstmalig beobachtet wurde. In den letzten Jahrzehnten jedoch ist die Anzahl der Erkrankungen stetig gestiegen. Aus bislang nicht näher erforschten Gründen beobachten Ärzte jedes Jahr Ende Februar ein gehäuftes Auftreten dieses Störungsbildes. Rein äußerlich ist die Post-Berlinale-Depression durch Übermüdungserscheinungen und dunkle Augenringe gut zu erkennen. Die betroffenen Personen haben darüber hinaus manchmal Schwierigkeiten sich zu artikulieren und/oder an Gesprächen des Alltags teilzunehmen. In einigen Fällen führt die Krankheit zu einem sogenannten „Zitatzwang“, d.h. dass sich die Erkrankten bei jedwedem Gesprächsthema auf Filme beziehen, die sie in der jüngeren Vergangenheit gesehen haben. 

In besonders schweren Fällen können Dissoziationserlebnisse auftreten, bei denen die Betroffenen Schwierigkeiten haben, ihr reales Leben von einer Filmhandlung zu unterscheiden. Es werden im Allgemeinen drei verschieden Formen dieser sogenannten BioPic-Psychose unterschieden, d.h.  das Bemühen, das eigene Leben so inszenieren, dass es als Vorlage für eine filmische Biographie dienen kann. Die RomCom-Psychose beispielsweise zeichnet sich durch spontane Liebeserklärungen an unbekannte Leute sowie die Erwartungshaltung aus, für augenscheinlich peinliches Verhalten Applaus zu bekommen. Kriminal-Psychotiker hingegen provozieren Konfrontationen mit Gesetz und Polizei, schließen sich zuweilen gar kriminellen Organisationen an. In der Fachliteratur ist überdies von Fällen die Rede, in denen sich die Teilnehmer von Kriminal-Psychose-Therapiegruppen für Überfälle auf Casinos zusammengeschlossen haben. Dies ist übrigens auch der Grund dafür, dass bei diesem konkreten Störungsbild von Gruppentherapien abgeraten wird. Die dritte Form der BioPic-Psychose ist das Arthaus-Phänomen. In diese Kategorie fallen Patienten, deren gesamtes Lebenstempo sich plötzlich verlangsamt. Früher ging man in diesen Fällen von einer depressiv bedingten Antriebslosigkeit aus. Im Fall des Arthaus-Phänomens jedoch ersetzen die Betroffenen ganze Handlungsabläufe durch Monologe. Es kommt häufig zu Unterernährung, da die Patienten über das Essen lieber reden, als es zu sich zu nehmen. Das soziale Umfeld beschreibt Fälle des Arthaus-Phänomens je nach Bildungsschicht als „kryptisch“, „meta“ oder „unverständlich“. 

Wie wir heute wissen, wird die Post-Berlinale-Depression durch eine Art Trauma verursacht. Das plötzliche Absetzen des Suchtmittels Film ohne angemessene Substitution führt zu schweren Entzugserscheinungen, wie beispielsweise depressiven Symptomen (Lustlosigkeit, Gefühle innerer Leere, Apptetit- und Schlaflosigkeit, etc.).  In klinischen Tests wird zurzeit die Wirksamkeit von Ersatzdrogen wie TV-Serien und Reality-TV erforscht. Genauere Ergebnisse liegen noch nicht vor. Man geht aber davon aus, dass ein langsames Herabsetzen der cineastischen Dosis den Ausbruch der Post-Berlinale-Depression verhindern kann. Empfohlen werden zunächst vier DVDs pro Tag, bei einer schrittweisen Reduzierung in wöchentlichen Etappen.

Sollten Sie die benannten Symptome an sich erkannt haben, bewahren sie Ruhe. Die Berlinale-Depression ist heilbar. Aber Vorsicht: Die Rückfallquote liegt im Zeitraum eines Jahres bei etwa 100%!

Freitag, 17. Februar 2012

Dichter und Kämpfer


© kunststoff - die filmmacher/ Regie: Marion Hütter
„Wir wären alle gerne Hip Hopper, aber unsere Mütter sind nett“, sagt einer der Protagonisten von Dichter und Kämpfer bei der Q&A nach dem Film. In der Tat sind die Poetry Slammer, um die es in dieser Doku von Marion Hütter geht, weit entfernt vom Gangster-Image gewisser deutscher Hip Hopper. Wenn überhaupt ein Vergleich notwendig ist, würde ich sie als nerdige Version von Stand-Up Comedians beschreiben. Zwar geht es beim Poetry-Slam nicht darum witzig zu sein, bis auf eine Ausnahme wollen die im Film portraitierten Künstler ihr Publikum jedoch vor allem zum Lachen bringen.

Dichter und Kämpfer begleitet vier Poetry Slammer auf und jenseits der Bühne. Selbstverständlich bilden ihre Performances einen wichtigen Teil der Dokumentation. Doch Marion Hütter filmt nicht einfach nur die Bühne ab, sondern inszeniert die poetischen Vorträge auch im Alltag der Poeten. Die Darstellung ihres ganz normalen Lebens fällt sehr knapp aus und wir bekommen wenig Einblicke in die Persönlichkeit der Figuren jenseits ihrer Bühnenidentität. Ich finde das schade, da ich gerne mehr über Julius, Theresa, Sebastian und Philipp erfahren hätte. 

Vor dem Film hatte ich nur eine vage Ahnung davon, was ein Poetry Slam eigentlich ist. Jetzt bin ich eindeutig schlauer und gar ein wenig inspiriert, selbst wieder öfter kreativ die Feder zu schwingen. Ich finde diese Art der Kunst ziemlich mutig, da sich die Autoren hier dem direkten Kontakt mit dem Publikum aussetzen und es nicht nur darum geht, gute Ideen zu haben, sondern diese auch gekonnt vorzutragen. Da kann der einsame Dichter in seinem Kellerloch nicht mithalten. 

Insgesamt aber hinterlässt mich der Film ein wenig frustriert. Mir ist nicht so ganz klar, worum es Marion Hütter hier geht. Will sie einfach nur die Poetry Slam Szene darstellen? Dass die Performances hier im Vordergrund stehen, spricht dafür. Ich kann auf dramaturgischer Ebene keinen anderen roten Faden entdecken, was mir den Genuss des Films ein wenig verleidet. Auch das Ende kommt ziemlich abrupt und wirft uns mitten in der Aufzeichnung eines Wettbewerbs aus dem Kino hinaus, ohne uns mitzuteilen, ob einer der uns nun bekannten Protagonisten an diesem Tag als Gewinner hervor gegangen ist. 

Vor ein paar Jahren habe ich den Dokumentarfilm Love, Peace & Beatbox von Volker Meyer-Dabisch auf der Berlinale gesehen, der ein ähnliches Profil hatte wie Dichter und Kämpfer. Auch damals ging es um eine neue Kunstform, das Beatboxen, und die bekanntesten deutschen Vertreter. Meyer-Dabisch gelingt es in meinen Augen aber deutlich besser, uns nicht nur für sein Thema, sondern auch die Figuren zu gewinnen. Dichter und Kämpfer bleibt in meinen Augen letztendlich doch ein rein informatives Werk. Das Beste an der ganzen Vorführung waren die spontanen Kostproben, die die anwesenden Slammer nach dem Film lieferten. Insofern ist meine Empfehlung an dieser Stelle, sich lieber mal einen Poetry Slam live anzusehen als diesen Film.



Flying Swords of Dragon Gate


© Berlinale/ Regie: Tsui Hark
Auch nach diesem chinesischen Film stehe ich wieder mit Kollegen zusammen und rekapituliere im Kollektiv die Handlung. Diesmal gelingt es uns jedoch gemeinsam, zumindest die Motive der einzelnen Figuren nachzuvollziehen. Ich versuche das Ergebnis unserer illustren Diskussionsrunde einmal zusammen zu fassen: Da ist so ein Königreich mit einem Ost- und einem Westbüro. Die sind böse. Und dann gibt es da so etwas wie Martial Arts Guerillas. Die sind gut. Die Bösen jagen eine schwangere Ex-Zofe, die wiederum von einer geheimnisvollen Kämpferin gerettet wird. In einem Hotel mitten in der Wüste, unter dem ein Schatz begraben liegt, treffen sie alle zusammen. Ergänzt wird dieses Stelldichein von Schatzsuchern, die während des anstehenden Sandsturms das Gold einsacken wollen. Klingt merkwürdig? Iwo!

Mehr noch als die vollkommen haarsträubende Story, wenn man das überhaupt so nennen kann, hat mich die Optik des Films irritiert. Selten habe ich so schlechte CGI gesehen. Ich fühlte mich permanent wie in einem Videospiel. Ständig flog irgendetwas durch die Luft: Schwerter, Dolche, Scherben und Menschen. Vielleicht habe ich auch einfach zu wenig Ahnung von Kung Fu Filmen, um es schätzen zu können, dass Jet Li durchs Bild düst wie Superman persönlich. Getoppt wurde das dann noch vom spektakulärsten Schnitt der Filmgeschichte: Der Sandsturm rollt an und droht die Meute zu begraben – CUT – alle stehen gemütlich beisammen und halten ein Schwätzchen. Ich weiß echt nicht, was ich davon halten soll.

Über Flying Swords of Dragon Gate etwas Positives zu sagen, fällt mir schwer. Eine Charakterentwicklung ist nicht vorhanden, von den meisten Personen weiß ich nicht einmal, welche Funktion sie eigentlich in der Geschichte haben. Als hätte ich nicht schon genug Probleme, die Leute auseinanderzuhalten, muss auch noch eine Doppelgängerstory integriert werden, die mich dann vollends verwirrt. Nein, ich kann wirklich nichts Positives über Flying Swords of Dragon Gate sagen. Außer vielleicht: 3D war irgendwie nett. Aber wir wissen ja alle, was „nett“ heißt, oder?!



Bel Ami


© Studiocanal/ Regie: Declan Donnellan & Nick Ormerod
„As God is my witness, I'll never be hungry again.“ Dieses Zitat aus dem Film Vom Winde verweht taucht in den ersten Szenen von Bel Ami spontan in meinem Bewusstsein auf. Und in der Tat will auch hier die Hauptfigur George Duroy (Robert Pattinson) wie damals Scarlett O’Hara eine mittellose Existenz hinter sich lassen. Im Unterschied zur taffen Südstaatlerin ist George allerdings ein weitgehend talentfreier Ex-Soldat ohne Rückgrat. Gemeinsam ist ihnen wiederum, dass sie ihren Reichtum durch die Ehe mit mächtigen Persönlichkeiten erlangen.

Im Paris des 19. Jahrhunderts, sind es die Frauen, die durch den Einfluss auf ihre Männer die Strippen ziehen. Und so legt George eine nach der anderen flach, immer auf der Suche nach einem noch höheren Einkommen und einer noch mächtigeren Position. Von Tiefschlägen lässt er sich nur vorübergehend aus der Fassung bringen und findet stets schnell ein neues Opfer, dem er schöne Augen machen kann. Egal ob Kristen Scott Thomas, Uma Thurman oder Christina Ricci – sie verfallen ihm alle. 

Ich finde es interessant, dass es diesmal ein Mann ist, der nicht auf Grund seiner Fähigkeiten die Karriereleiter erklimmt, sondern durch seinen Sexappeal. Auch die Machtverhältnisse sind hier sehr divers. Während der Charakter von Uma Thurman George vorübergehend dominiert, ist Kristen Scott Thomas seinem Charme quasi willenlos erlegen. Lediglich Christina Ricci ist schwer einzuordnen. Geht es in diesem Fall gar um Liebe? Aus der Affäre mit ihr kann George keine Vorteile ziehen, dennoch bleibt er ihr über den gesamten Film hinweg  verbunden. Doch Robert Pattinson spielt hier einen viel zu großen Unsympathen, als dass Platz für eine richtige Liebesgeschichte wäre. Ich rechne es den Regisseuren Declan Donnellan und Nick Ormerod hoch an, dass sie darauf verzichtet haben, zu Gunsten einer größeren Massentauglichkeit künstlich eine Lovestory zu konstruieren. Das ist auch deshalb gut, weil in den Momenten leiser Romantik bei Robert Pattinson dann leider doch der melancholische Vampir durchscheint. So ganz kann ich ihn in der Rolle des abgebrühten Egomanen einfach nicht ernst nehmen. 

Auch wenn die Geschlechterrollen hier auf der Handlungseben erfrischend gleichberechtigt konstruiert sind, ist die männliche Hauptfigur leider die einzige, der ein komplexer Charakter zugedacht wird. Die drei Damen sind im Prinzip nur Ornamente dieses erotischen Kostümfilms: schöne Frauen in schönen Kleidern. So können mich auch Ricci und Thomas mit ihrer Schauspielleistung nicht vom Hocker hauen. Lediglich Uma Thurman gibt mächtig Power, überrascht damit aber nicht sonderlich, da wir sie in der Rolle der Kämpferin schon ein paar Mal gesehen haben. 

Der Schluss hat mir diesmal gut gefallen. Mir wurden weder deprimierende Tragik noch ein kitschiges Happy End aufgetischt. Bel Ami hat mich zwei Stunden angenehm unterhalten und gehört auch zu den Filmen, die ich mir durchaus ein zweites Mal ansehen würde. Aus Gesprächen mit Kollegen habe ich jedoch geschlossen, dass das entweder ein Zeichen meines schlechten Geschmacks oder mit meinem Geschlecht zu erklären ist. Es ist wohl nicht vollkommen fehlgeleitet, Bel Ami als Frauenfilm zu bezeichnen.  Ich bin gespannt, wie er sich an den Kinokassen schlagen wird. 




Rebelle

© Rebelle - le film/ Regie: Kim Nguyen
Es gibt wenig Filme, die mich wirklich sauer machen. Rebelle gehört dazu. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr ärgere mich. Dabei kann ich wirklich nicht behaupten, dass Regisseur Kim Nguyen hier einen schlechten Job gemacht hat. Die Storyline stimmt, die Schauspieler sind gut und die Kameraführung befriedigt problemlos unsere Sehgewohnheiten. Aber wenn man schon ein so brenzliges Thema wie Kindersoldaten in Afrika angeht, dann sollte man meiner Meinung nach ein bisschen weniger Weichspüler benutzen.

Komona (Rachel Mwanza) wird als Zwölfjährige von Rebellen gezwungen, ihre eigenen Eltern zu erschießen.  Sie muss sich der Widerstandsgruppe an anschließen und lernen, mit dem Gewehr umzugehen. Da sie Visionen von Geistern hat, die sie vor der Präsenz der Regierungstruppen warnen, steigt sie als Hexe im Ansehen ihres Anführers. Doch ein junger Magier (Serge Kanyinda) kann sie davon überzeugen, dass sie sich in falscher Sicherheit wähnt. Gemeinsam entfliehen sie der Truppe und versuchen sich als Paar ein neues Leben aufzubauen. Als es gerade so scheint, als würde sich Rebelle in einen Liebesfilm wandeln, treten die Kämpfer erneut auf den Plan, um sich ihre Hexe zurückzuholen.

Der magische Touch der Geschichte gefällt mir, weil der Glaube an Geister und Zauberei eben Teil vieler afrikanischen Kulturen ist. Somit finde ich es angemessen, dies auch in diesen Film zu integrieren, der aus der Sicht von Komona erzählt wird und deren Welt selbstverständlich durch diese besondere Spiritualität geprägt ist. Doch Rebelle ist kein reines Märchen, sondern zeigt auch fast lehrbuchpsychologisch die posttraumatische Belastungsstörung, die Komona auf Grund ihrer schrecklichen Erfahrungen entwickelt.

Letztendlich macht es sich Kim Nguyen aber ein bisschen zu einfach mit seiner Geschichte. Zunächst gefiel es mir noch, dass er zwar recht schonungslos die Ereignisse darstellt, aber auf explizite Gewaltdarstellungen und die Befriedigung unseres Elendsvoyeurismus verzichtet. In Kombination mit dem Happy End jedoch führt das zu einer regelrechten Verharmlosung des Themas. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Kind, das derartiges erlebt hat, mit dem Beisetzen ihrer Eltern ihr Trauma einfach mal eben so überwinden kann. Der Grat zwischen der unangemessenen Zurschaustellung von Gewalt und Leid und dem Weichkochen einer harten Realität ist sehr schmal und Nguyen ist definitiv auf der zweiten Seite hinuntergefallen. Etwas Schockierender hätte die Darstellung dieses Themas schon sein müssen, um zumindest beim Verlassen des Kinos ein ungutes Gefühl ob der Ungerechtigkeit der Welt zu erzeugen. In meinen Augen gibt es kaum etwas Schrecklicheres als kleine Kinder so zu manipulieren, dass sie zu zombieartigen Kampfmaschinen werden. Rebelle vermittelt jedoch den Eindruck, dass es sich bei Komonas Kindheit im Grunde nur um eine unangenehme Episode handelt, die sie durch Geisterbeschwörung hinter sich lassen kann. Das kann ich einfach nicht hinnehmen!


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Donnerstag, 16. Februar 2012

En kongelig affære


© Jiri Hanz/ Regie: Nicolaj Arcel
Manch einer findet Entspannung in Steven Soderberghs Haywire und andere in En kongelig affære. Ich gehöre zur letzteren Gruppe. Mein Mädchenherz schlägt höher und ist angetan von so viel schönem Kostüm und königlicher Romantik. Es hätte mir nicht weh getan, diesen Wettbewerbsfilm aus Dänemark zu verpassen, aber es war definitiv eine schöne Ablenkung vom „Problemkino“.

Der Film von Nikolaj Aƒrcel erzählt die Geschichte der dänische Königin Caroline Mathilde (Alicia Vikander), die eine Affäre mit dem Leibarzt des Königs (Mads Mikkelsen) beginnt. Dabei ist weniger sein Äußeres ausschlaggebend, als vielmehr sein intellektuelles Potential. Denn wie Caroline ist er ein Freigeist, der Voltaire und Rosseau liest und große Pläne für die zukünftige Gesellschaftsordnung hat. Da der König selbst weder über Führungsqualitäten noch Ideenreichtum verfügt, lässt er sich von seinem Arzt und Vertrauten schnell beeinflussen. Gemeinsam mit einer Hand voll anderen Verfechtern der Aufklärung erlässt er zahlreiche neue Gesetze, die Dänemarks Politik einschneidend verändern. Natürlich bleiben dadurch aber auch mächtige Leute auf der Strecke, die nicht tatenlos zusehen wollen, wie ihnen die Privilegien entzogen werden.

Im Gegensatz zum Eröffnungsfilm Les adieux à la reine hat mich die Ausstattung von En kongelig affære überzeugend mit in die Stimmung des 18. Jahrhunderts hinein genommen. Auch die Schauspieler – allen voran Mikkel Boe Følsgaard als durchgeknallter König – tragen dazu bei, dass mich die Geschichte von Liebe und Macht fesselt, obwohl hier im Grunde keine besonders originelle Story erzählt wird. Verbotene Liebe, ein unfähiger König und die Intrigen einer bösen Stiefmutter haben wir schon oft und vielleicht auch besser gesehen. Dennoch liefert Nicolaj Arcel ein gelungenes Rundumpaket, dass solide Kinounterhaltung bietet. 

Die Liebesgeschichte zwischen Carloine und und dem Arzt Johan Struensee ist weder zu nüchtern, noch zu dramatisch oder kitschig, so dass ich mich guten Gewissens auf die emotionalen Irrungen und Wirrungen einlassen kann. Die Musik unterstützt meinen zarten Anflug von Gefühlsduselei, ohne mich in tiefe und unfreiwillige Verzweiflung über das Schicksal der Protagonisten zu stürzen. Gute 80% Prozent des Films bin ich wirklich von der Story aufgesogen und vergesse kurzzeitig sogar, mir Notizen zu machen. 

Ich persönlich finde es ein wenig schade, dass die Rahmenhandlung den Schluss schon vorwegnimmt und mir keine Hoffnung auf ein Happy End bleibt. Meiner Meinung nach hätte der Film durch den Verzicht dieses dramaturgischen Griffes ordentlich an Spannung gewinnen können.  En kongelig affære bleibt aber ein sehenswertes, wenn auch nicht unverzichtbares Kostümdrama. Ich bin mir nicht sicher, ob der Film für die heutige Zeit eine Relevanz hat, was meiner Meinung nach ein echtes Kriterium in Bezug auf diesen Wettbewerb ist. Filmisch jedoch hat Regisseur Nicolaj Arcel nicht viel falsch gemacht.  



Gnade


© Alamode Film/ Regie: Matthias Glasner
Entweder ich bin für diesen Film von Matthias Glasner zu religiös, oder nicht religiös genug, denn das Ende lässt mich ratlos und ziemlich unbefriedigt zurück. Geht es hier um Ehrlichkeit, die Kraft der Beichte, Gott oder zwischenmenschliche Vergebung? Ich kann das Gesehene einfach nicht richtig einordnen.

Niels (Jürgen Vogel) geht mit seiner Familie nach Norwegen, um einen Neustart zu wagen. Doch so richtig neu ist das Leben in dem fremden Land eigentlich gar nicht. Die Ehe ist nach wie vor von Distanz gekennzeichnet, Niels geht weiterhin fremd und auch der Sohn scheint von seinen Eltern nachhaltig entfremdet zu sein. Eines Nachts fährt Niels‘ Frau Maria (Birgit Minichmayr) im Dunklen jemanden an und begeht in ihrer Panik Fahrerflucht. Trotz der kriselnden Beziehung zu Niels erzählt sie ihm von dem Ereignis. Fortan teilen sie das schreckliche Geheimnis und kämpfen mit dem Gefühl der Schuld und dem Bedürfnis, sich durch eine Beichte Erleichterung zu verschaffen.

Erst einmal zu den positiven Dinge an Gnade: Glasner hat mit den Schneelandschaften Norwegens ein atemberaubendes Setting gewählt, dass er gekonnt zu inszenieren weiß. Die Schauspieler verkörpern ihre Figuren glaubwürdig und nehmen uns in ihren inneren Konflikt mit hinein. Die Stimmung ist zeitweise fast unerträglich intensiv, doch leider schafft es die Dramaturgie nicht, diese Intensivität über den gesamten Film zu retten. Da ist zu viel, was überflüssig oder doch zumindest schwer einzuordnen ist, z.B. der Film, den der Sohn (Henry Stange) mit seinem Handy filmt und der auch den Epilog von Gnade bildet. 

Der Aufbau der Story ist in meinen Augen an sich großartig. Glasner deutet immer wieder verschiedene Auflösungen der Situation an, schlägt dann aber doch einen anderen Weg ein. Dadurch wird unsere Anspannung immer größer: Wird die Wahrheit ans Licht kommen? Und wenn ja, wie werden die Konsequenzen aussehen? Das Ende, für das er sich dann, entscheidet, gibt mir jedoch noch mehr Rätsel auf. Durch den Chor, in dem Maria singt, wird eine religiöse Dimension aufgemacht, die dann stiefmütterlich vernachlässigt wird. So weiß zumindest ich letztendlich nicht, was es mit der Gnade, die die Geschichte übertitelt, eigentlich auf sich hat. 

Die Geschichte der Beziehung zwischen Niels und Maria ist glaubwürdig und ergreifend. Durch das gemeinsame Geheimnis findet eine emotionale und körperliche Annäherung statt. Niels beginnt die Hand nach seiner Frau auszustrecken. Für mich ist der Moment, in dem er dies ganz praktisch tut und der von einer (vielleicht etwas zu) rührenden Gesangseinlage begleitet wird, geradezu magisch. Im Nachgang aber habe ich das Gefühl, dass sich Glasner hier nicht entscheiden konnte, um was es in seinem Film wirklich gehen soll. Es wäre für den Spannungsbogen und das Gesamtprodukt wohl besser gewesen, den Schwerpunkt entweder klar auf die Beziehung oder den Umgang mit der Schuld zu legen. Das hätte auch eine Kürzung des etwas zu lang geratenen Films möglich gemacht.

Den Buh-Ruf am Ende kann ich dennoch  nicht ganz nachvollziehen. Gnade ist trotz allen Schwachstellen ein wirkungsvoller Film und die Fragen, die am Ende übrig bleiben, sind ein guter Ausgangspunkt für eigene Überlegungen zum Thema Sünde, Beichte und Vergebung. Von den vielen Interpretationen, die mir Gnade ermöglicht, entscheide ich mich für die folgende: „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Im Laufe der Handlung kommt es zu zahlreichen Vergehen und Geständnissen, denen auf vollkommen unterschiedliche Art und Weise begegnet wird. Was mir aber auffällt, ist, dass die Figuren eher in der Lage sind zu vergeben, wenn sie selbst Schuld auf sich geladen haben.  Das Verständnis für die Verfehlungen des Gegenübers wird dadurch erleichtert. Jeder mag selbst entscheiden, wie er mit seiner eigenen Schuld umzugehen gedenkt, doch uns allen muss klar sein, dass eben niemand ganz ohne Schuld (= Sünde) ist und wir das in unseren Urteilssprüche über unsere Nächsten berücksichtigen müssen. Ende der Moralpredigt. 


                                    

                                    

                                    

Csak a szél

©Berlinale/ Regie: Bence Fliegauf
Eine meiner frühen Kindheitserinnerungen ist eine Szene, in  der  vor unserer Wohnungstür Kinder stehen, die meine Mutter als Zigeuner bezeichnet. Sie betteln und meine Mutter schenkt ihnen ein Paket Kaugummi. Heute begegne ich den sogenannten Zigeunern vor allem im Berliner Wedding, wo sie vor Karstadt und Woolworth sitzen und die Passanten um Kleingeld anflehen. Meist sind es Frauen mit kleinen Kindern, die nicht dem Wetter entsprechend gekleidet sind und sehr elendig aussehen. Ich entwickle regelmäßig Aggressionen, weil ich das Gefühl habe, dass sie den erbärmlichen Zustand der Kinder missbrauchen, um Mitleid zu erregen. Auch wenn mir natürlich klar ist, dass niemand aus freien Stücken sich oder seine Familie einer derartigen Situation aussetzt, verdrängt in diesen Momenten eine ratlose Wut das notwendige Verständnis.

Csak a szél vermag leider nicht, meinen Blick auf das Leben der "Zigeneuer" grundlegend zuverändern, auch wenn ich hier einmal einen anderen Einblick in das Leben der Roma bekomme. Der Film von Bence Fliegauf spielt in Ungarn und beschäftigt sich mit den realen Morden an mehreren Roma-Familien in seinem Heimatland. Anhand einer Familie stellt Fliegauf das Leben der Roma exemplarisch dar, macht aber auch deutlich, dass sich hier nicht alle Angehörigen dieser Volksgruppe in einen Topf werfen lassen. Die Figuren, die er in den Mittelpunkt stellt, sind bemüht und passen nicht ins Bild des kriminellen und freiwillig verwahrlosten Zigeuners, das wir uns gerne basteln, um das Thema abzutun. Die Mutter hat gleich zwei Jobs um Geld für eine Auswanderung nach Kanada zu sammeln, die große Schwester geht fleißig zur Schule und kümmert sich um die Nachbarskinder. Auch wenn der Sohn der Familie es mit der Bildung nicht so genau nimmt, übernimmt er trotz seiner jungen Jahre Verantwortung und richtet in der Nähe des Hauses in einem verlassenen Bunker ein Refugium für den Notfall ein. Denn in der Nachbarschaft gab es in letzter Zeit mehrere Vorfälle, bei denen Roma-Familien systematisch hingerichtet wurden. Die verbleibenden Bewohner des Waldgebietes leben seitdem in großer Angst.

Bence Fliegauf zeigt uns das harte Leben der Roma ungeschönt, aber ohne Mitleid zu erregen. Csak a szél hat es nicht nötig, mit Hilfe von Musik und rührseliger Handlung sein Publikum um Tränen zu erpressen. Stattdessen begleitet die Kamera die Figuren aus beobachtender Perspektive durch einen ganz normalen Tag. Mich stört der enge Fokus des Films, sowohl auf der Handlungs- als auch auf der Darstellungsebene. Über die Hintergründe der Familie erfahren wir nichts, wodurch meine große Frage, wieso die Roma eigentlich gezwungen sind unter den gezeigten Bedingungen zu leben, unbeantwortet bleibt. Die Kamera ist stets sehr nah an den Figuren dran, was für die Augen zuweilen anstrengend wird. Mich persönlich stört es grundsätzlich, wenn ich mir nicht aussuchen kann, wo ich hingucke. So passiert es mir in Csak a szél mehrfach, dass ich mir den Hintergrund einer Szene ansehen will, die Unschärfe es jedoch verhindert. Ich fühle mich von Bence Fliegauf zu sehr auf eine einzige, nämlich seine, Perspektive festgelegt.

Grundsätzlich gefällt mir die Thematik des Films und die nüchterne Darstellung, die uns nicht nur mit mahnendem Zeigefinger auffordert, unsere Vorurteile über Bord zu schmeißen, sondern durchaus auch Belege dafür liefert, dass hinter jedem Stereotyp auch ein wenig Wahrheit steckt. Bence Fliegauf will uns hier nicht mit einer glorifizierenden Darstellung für dumm verkaufen, sondern zeigt auch eindrücklich die Ursache für die uns allen bekannte Stereotypen: Einige der Nachbarn der Hauptfiguren leben in abgewrackten Behausungen und vegetieren ebenso lethargisch vor sich hin, wie man es dem „faulen Zigeunerpack“ gerne unterstellt. Bence Fliegauf warnt aber vor der Unterscheidung in „gute“ und „schlechte“ Roma, in dem er eben diese Rhetorik einem Polizisten in den Mund legt, der uns durch seine unsympathische Art die unangebrachte Anmaßung einer solchen Differenzierung vor Augen führt. Insgesamt aber greift der Film für mich ein wenig zu kurz. Es ist zwar eindeutig sein Anliegen, die schwierigen Lebensbedingungen der Roma in Ungarn zu portraitieren, doch liefert er durch seinen engen Fokus zu wenig Hintergrundinformationen, um die Problematik in ihrer Gänze zu erfassen. Ich hätte mir gewünscht, dass eine filmische Auseinandersetzung mit dem Thema dazu führt, dass wir mit einem grundlegend veränderten Blick oder doch zumindest einem gewachsenen Interesse aus dem Kino hinaus gehen. Bei einem bereits sensibilisierten Publikum mag das nicht all zu schwer ins Gewicht fallen, doch stark vorurteilsbelastete Zuschauer werden ihre Meinung wohl auf Grund dieses Films nicht komplett überdenken.

Stilistisch hat mir Csak a szél nicht gefallen. Das gewählte Thema finde ich großartig, doch fehlen mir hier zu viele Aspekte, um von dem Film wirklich eingenommen zu sein. Wirklich schade.

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Pressespiegel auf film-zeit.de

Mittwoch, 15. Februar 2012

Haywire


© Concorde/ Regie: Steven Soderbergh
Eine Frau wird in einem amerikanischen Diner von einem Mann angesprochen. Die beiden kennen sich. Die Stimmung ist nicht besonders gut und entwickelt sich zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung. Ein besorgter junger Mann am Nebentisch will helfen, doch das ist gar nicht notwendig, denn die attackierte Frau poliert ihrem Angreifer mächtig die Fresse. 

So beginnt Haywire, der Film von Steven Soderbergh, der im Berlinale Wettbewerb außer Konkurrenz läuft. Die schlagkräftige Dame ist Gina Carano, eine Mixed Martial Arts Größe, die hier ihr Leinwanddebut an der Seite der ganz großen Hollywoodstars gibt. In dieser ersten Szene muss sich Channing Tatum von ihr zerlegen lassen, später gibt sie dann noch Michael Fassbender, Ewan McGregor und Antonia Banderas ordentlich eins auf die Mütze. Diese Kämpfe zwischen Mann und Frau sind nicht nur wegen der Geschlechterkonstellation ungewöhnlich, sondern wurden, so zumindest Steven Soderbergh in der Pressekonferenz, auch ganz bewusst anders inszeniert als wir es von amerikanischen Actionfilmen gewöhnt sind. 

Die Geschichte ist eigentlich schnell erzählt: Malory Kane arbeitet als Agentin für ein privates Unternehmen, das unter anderem von der amerikanischen Regierung für spezielle Aufgaben engagiert wird. Doch nach ihrem letzten Auftrag ändert sich plötzlich alles und Malory steht selbst auf der Abschussliste. Wem kann sie jetzt noch trauen? So oder so ähnlich haben wir diese Geschichte schon an die hundert Mal gesehen. Ich kann wirklich nicht behaupten, dass Steven Soderbergh, bzw. Drehbuchautor Lem Dobbs hier mit besonders originellen Ideen aufwarten. Aber darum geht es auch gar nicht. Ich glaube, Haywire ist ein Spiel des Regisseurs mit dem Genre des Actionfilms. Wie er selbst sagt, hat er sich ästhetisch an Werken aus den 60er und 70er Jahren orientiert. Die Wahl des Projektes war übrigens eng mit seinem Wunsch verbunden, Gina Carano casten zu können. Dafür eignet sich das Konzept in seiner jetzigen Form natürlich hervorragend. Die Betonung liegt hier eindeutig auf der optischen Ebene, es wird mehr gezeigt als gesagt. Das hat mir insbesondere im ersten Teil des Films gefallen, der in Barcelona spielt und in dem die Vorgeschichte geschickt gerafft bildlich zusammengefasst wird.

Mal abgesehen von dem großartigen Cast, zu dem neben den schon genannten auch Michael Douglas gehört, unterhält Haywire auch durch seinen Humor. Hier zeigt sich eine gewisse Selbstironie des Films, der mich einmal mehr zu der Annahme führt, dass Steven Soderbergh bei diesem Projekt vor allem Spaß an der Arbeit an sich hatte. Bedauerlich ist, dass Michael Fassbender und Channing Tatum so wenig Screentime bekommen haben. Die Figur der Malory Kane steht ganz klar im Vordergrund. Gina Carano bringt eine Menge Power mit und macht ihre Sache hier trotz fehlender Schauspielerfahrung überraschend gut.

Haywire ist ein reiner Unterhaltungsfilm und steht dazu. Hier sollen keine tiefschürfenden Reflektionen in Gang gebracht werden. Und solche Filme muss es ja schließlich auch geben. Spannend ist Steven Soderberghs Werk allemal, nur leider auch ziemlich austauschbar.




Bai Lu Yuan


© Berlinale/ Regie: Wang Quan'an
Nach diesem dreistündigen chinesischen Epos stand ich mit Kollegen zusammen und gemeinsam versuchten wir den Handlungsablauf zu rekonstruieren. Wie wir jedoch feststellen mussten, waren wir selbst zu viert nicht in der Lage, die Figuren voneinander klar zu unterscheiden und in Beziehung zu setzen. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder wir sind alle nicht so schlau wie wir tun, oder aber Regisseur Wang Quan’an hat seine Geschichte nicht besonders gut erzählt.

Es ist gar nicht so einfach, die Handlung von Bai Lu Yuan zusammenzufassen, insbesondere deshalb, weil ich die Figuren nicht auseinanderhalten konnte. Ich glaube, im Zentrum standen drei junge Männer und eine Kommunität in der chinesischen Pampa, die vom Weizenanbau lebt. Die Geschichte spielt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einer Zeit der Umbrüche, die auch an dem kleinen Ort nicht spurlos vorübergeht. Doch es geht hier weniger um eine Geschichtsstunde als um die Schicksale der drei Männer, die durch das Auftauchen einer fremden Frau durcheinander gebracht werden. 

Zwei Dinge sind mir an Bai Lu Yuan besonders aufgefallen: Es wird sehr oft gegessen und sehr oft gevögelt. Wegen letzterem stand der zu Grunde liegende Roman wohl auch recht lange auf dem Index. Auch auf der sprachlichen Ebene wird hier kein Blatt vor den Mund genommen und ein vulgärer Ausspruch jagt den nächsten. Ich bin ja wirklich nicht zimperlich, aber Datteln in Sperma einzulegen finde ich dann doch eine merkwürdige Idee. 

Abgesehen von diesen prekären Details ist Bai Lu Yuan in meinen Augen eher unspektakulär. Das Erzähltempo ist extrem langsam. Die Dialoge ziehen sich dahin, ohne einen erwähnenswerten Informationsgehalt vorweisen zu können. Manchmal habe ich gar das Gefühl, die Leute auf der Leinwand würden gar nicht wirklich miteinander sprechen, sondern nur abwechselnd laut vor sich hindenken. Und so zieht sich auch der gesamte Film in seinen knapp 180 Minuten Laufzeit entsetzlich in die Länge. 

Filmisch gesehen, hat Wang Quan’an hier wohl keinen ganz schlechten Job gemacht, doch die Geschichte kann mich einfach nicht in ihren Bann ziehen. Auch wenn das Drehbuch seinen Figuren komplexe Charaktere verleiht, kann es mich nicht wirklich für diese einnehmen. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich bis zum Ende die Beziehungen der Personen untereinander nicht durchblicke und somit auch ihre zwischenmenschlichen Probleme für mich nicht immer nachvollziehbar sind. 

Ich könnte mir vorstellen, dass Bai Lu Yuan ein klarer Fall von Geschmackssache ist. Wer sich gut auf derart langsam erzählte Geschichten einlassen kann und vielleicht ein wenig historisches Grundwissen über das China des frühen 20. Jahrhunderts mitbringt, mag an dem Film Gefallen finden. Ich für meinen Teil war ziemlich froh, als er endlich vorbei war. 

Kebun binatang

© Sony Seniawan/ Regie: Edwin
Manch ein Kind möchte nach dem Zoobesuch gar nicht mehr nach Hause, doch in der Regel nehmen Eltern darauf keine Rücksicht. Wieso Lana (Ladya Cheryl) als kleines Mädchen eines Tages im Zoo auftaucht und einfach dortbleibt, erfahren wir nicht. Sie freundet sich mit anderen Bewohnern des Tiergartens an, die sich in Zelten und anderen improvisierten Behausungen dauerhaft niedergelassen haben. Es sind keine Schmarotzer, sondern die menschliche Zoobevölkerung hilft fleißig mit. Auch Lana bringt sich ein, gibt Führungen und weiß interessante Geschichten über ihre Lieblingstiere zu erzählen. Eines Tages taucht ein magischer Cowboy auf (Nicholas Saputra) und führt Lana aus dem Zoo hinaus in die Realität.

Kebun binatang ist ein Märchen. Nicht nur der Zoo wird durch die kindlichen Augen von Lana märchenhaft inszeniert, auch die Magie des Cowboys fügt sich in dieses Genre. Doch außerhalb der Zoomauern ist das Leben nicht mehr so „traumhaft“, insbesondere nachdem sich Lanas Cowboy versehentlich (?) selbst wegzaubert und sie darauf angewiesen ist, auf anderen Wegen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Doch die Magie geht der Geschichte nie vollkommen verloren.

Die eingeblendeten Zwischentitel führen uns den metaphorischen Charakter unseres kleinen Märchens vor Augen. Lana wird mit den Tieren im Zoo verglichen. Nach ihrer Kindheit im Zoo wird sie in die Realität ausgewildert, bleibt jedoch stets ein Objekt. Zunächst ärgerte es mich, dass sie ihrem Cowboy fast hörig unterlegen ist. Doch im späteren Verlauf der Geschichte wurde mir klar, dass es sich hierbei um eine Kritik und nicht um ein frauenfeindliches Statement handelt. Um Geld zu verdienen wird Lana schließlich zum ultimativen Objekt: In einem Edelbordell beginnt sie, als Prostituierte zu arbeiten. Im Grunde ist sie jetzt auch ein Tier im Zoo, eine Attraktion in einem Vergnügungspark für Erwachsene. So zumindest lautet meine Interpretation dieser Geschichte.

Insbesondere der Teil der Geschichte, der im Zoo spielt, hat mir sehr gut gefallen. Die Magie dieses Ortes wird von der Kamera eingefangen und durch die Musikuntermalung passend unterstützt. Auch gefallen mir die Aufnahmen der Tiere. Insbesondere Lanas Lieblingstier, die Giraffe, wird beeindruckend in Szene gesetzt. Kebun binatang kommt weitgehend ohne Dialog aus und lebt von seiner Bildkraft. Edwin erzählt seinen Film mit sehr viel Ruhe und verzichtet zu Gunsten seiner märchenhaften Stimmung auf Dramatisierungen. Für mich geht dieses Konzept auf.

Was ist der Unterschied zwischen verschwinden und verlassen? Wenn jemand verschwindet, musst Du ihn suchen gehen, wenn er Dich verlässt, kommt er vielleicht von alleine zurück. Das lernt Lana zu Beginn von einem ihrer Zoomitbewohner. Nach dem Verschwinden ihres Cowboys – oder vielleicht Prinzen – verbringt Lana nicht viel Zeit mit der Suche nach ihm, sondern nimmt ihr Leben selbst in die Hand, auch wenn sie dabei erst mal den falschen Weg einschlägt. Am Ende aber fasst sie den Mut, sich endlich nach ihrem Glück auszustrecken. Nein, Kebun pinatang ist wirklich kein anti-emanzipatorischer Film, sondern wohl eher das Gegenteil. Und das gefällt mir wirklich gut!


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Dienstag, 14. Februar 2012

La chispa de la vida


© Berlinale/ Regie: Álex de la Iglesia
Innerhalb von wenigen Minuten ist mir klar, dass es in La chispa de la vida nicht mit rechten Dingen zugeht. Die Alltagskomik wird durch die dramatische Musikuntermalung ins Absurde gehoben und es dauert eine Weile, bis ich einigermaßen begriffen habe, was für einen Film ich vor mir habe.

Roberto (Jose Mota) ist seit zwei Jahren arbeitslos und leidet insbesondere darunter, dass er seiner Aufgabe als Ernährer der Familie nicht nachkommen kann. Als erneut ein vielversprechendes Vorstellungsgespräch scheitert, beschließt er, seiner Frau eine Freude zu machen und ein Zimmer in dem Hotel zu reservieren, in dem sie einst ihre Flitterwochen verbracht haben. Zu seinem Schrecken muss er feststellen, dass das Hotel inzwischen abgerissen und durch ein Museum ersetzt wurde. Im Chaos der Eröffnungsveranstaltung kommt es zu einem schrecklichen Unfall, der Robertos Leben bedroht. Doch dieser ist alles andere als verzweifelt, sondern wittert in dem Medienrummel seine Chance, endlich zu Ruhm und Reichtum zu kommen.

Álex de la Iglesia inszeniert mit La chispa de la vida einen Film, den ich am ehesten mit grotesk beschreiben kann. Zunächst glaubte ich, dass der Regisseur hier die Sensationsgeilheit der Medien kritisieren wolle, doch später stellte ich fest, dass es noch um viel mehr geht. Robertos Verzweiflung auf Grund seiner Arbeitslosigkeit tritt in seinen Versuchen, selbst aus seiner tödlichen Lage noch Gewinn zu schlagen, besonders drastisch hervor. Obwohl seine Frau Luisa (Salma Hayek) ihm immer wieder versichert, dass er keinen Grund zu Selbstzweifeln habe, ist es sein alleiniges Ziel, seine Familie finanziell abzusichern. Die absurden Geschehnisse mögen witzig sein, die Darstellung dessen, wie sich dauerhafte Arbeitslosigkeit auf das Selbstbewusstsein eines Menschen auswirken kann, ist es nicht.

Es ist etwas problematisch, dass lange Zeit nicht klar ist, worauf es in diesem Film hinausläuft. Während der ersten Hälfte warte ich immer noch vergeblich darauf, dass die Handlung jetzt endlich Fahrt aufnimmt, bis ich irgendwann realisiere, dass das nicht passieren wird. Denn La chispa de la vida stellt im Grunde nur einen Zeitraum von wenigen Stunden dar und konzentriert sich ganz auf Robertos Unfall. Das ist leider zu wenig für fast 100 Minuten Laufzeit. Eine Raffung hätte dem Spannungsbogen gut getan. Auch schleichen sich einige logische Fehler ein, die meine Begeisterung für den Film ein wenig schmälern.

Insgesamt ist La chispa de la vida in meinen Augen aber eine gelungene Groteske, die berechtigte Fragen über die mediale Berichterstattung und unsere Gesellschaft aufwirft und dabei gut zu unterhalten weiß. 


The Iron Lady


© Concorde/ Regie: Phyllida Lloyd
Eigentlich war ich ja dafür, dass Michelle Williams dieses Jahr den Oscar als beste Hauptdarstellerin erhält, aber nachdem ich The Iron Lady gesehen habe, bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich die Trophäe nicht doch lieber in den Händen von Meryl Streep sehen will. Man mag von dem Film halten was man will, aber die Leistung von Frau Streep muss man einfach würdigen!

Insbesondere in der Rolle der alten, leicht senilen Margaret Thatcher hat mich Meryl Streep überzeugt. Von der Körperhaltung, über die Mimik bis hin zur Sprache hat sie sich diese Rolle zu eigen gemacht. Damit gelingt es ihr trotz aller dramaturgischen Schwächen, uns für ihre Figur einzunehmen. Die Konflikte der ersten weiblichen Premierministerin Großbritanniens, ihre Ängste und Sorgen, aber auch ihr Hochmut werden von der zweifachen Oscargewinnerin glaubhaft dargestellt. Wenn doch nur an Iron Lady alles so toll wäre wie die Schauspielleistung von Meryl Streep!

Dramaturgisch finde ich den Film schwach, wenn nicht gar ärgerlich. Zwar wird mit assoziativen Rückblenden aus der Sicht der Hauptfigur die Geschichte hier rein technisch geschickt aufgerollt, doch fehlt irgendwie ein roter Faden, der aus Iron Lady mehr macht als nur ein cineastisches Geschichtsbuch. Meiner Meinung nach wäre es geschickter gewesen, die Handlung stärker auf ein spezielles historisches oder persönliches Ereignis zu fokussieren, um einen gescheiten Spannungsbogen zu erzeugen. Es ist wirklich nur den guten Schauspielern zu verdanken, dass Iron Lady ohne eine funktionierende Storyline nicht tödlichst langweilig geworden ist. 

Auch stört mich einmal mehr die pathetische Musikuntermalung, die uns zu einer emotionalen Reaktion auf eine im Grunde nicht emotionale Geschichte zwingen will. Denn Margaret Thatcher ist vieles, nur ganz sicher nicht emotional. Es ist die eine Sache, ob man begreift, dass auch sie hinter ihrer selbstsicheren Fassade innere Kämpfe ausgetragen hat, oder ob man uns weißmachen will, um ihr hartes Schicksal eine Träne vergießen zu müssen. Ich kann einfach allgemein nicht gut damit leben, wenn Personen im Film zu stark glorifiziert werden. Natürlich wird Margaret Thatcher hier mit einigen Schwächen dargestellt, doch da sie die Rahmenhandlung als liebenswerte, wenn auch verwirrte Großmutter charakterisiert, bleibt ihr positives Image im Grunde unangetastet. 

Wenn ich von diesem Pathos einmal absehe, ist Iron Lady vor allem ein informatives Portrait über die Person Margaret Thatcher, über die ich zuvor nicht besonders viel wusste. Über ihr Privatleben erfahren wir fast nichts, die offensichtlich enge Beziehung zu ihrem Mann bleibt daher ein wenig rätselhaft. Die professionelle, historische und nicht die private Margaret Thatcher steht hier im Mittelpunkt. Daher kann ich mir vorstellen, dass The Iron Lady eine interessante Ergänzung für den Geschichtsunterricht darstellt. Filmisch aber kann ich ihm auf Grund seiner dramaturgischen Schwächen einfach keine volle Punktzahl zusprechen.