Samstag, 11. Februar 2012

Barbara


© Hans From/ Regie: Christian Petzold
Heute habe ich zum ersten Mal dieses Jahr in einem Berlinale-Film geklatscht, genauer gesagt nach dem Film. Barbara von Christian Petzold hat endlich das geschafft, was ich am Medium Film so besonders liebe: Er hat die Geschichte der Hauptfigur für mich mit mehreren Sinnen erfahrbar gemacht – mit den Augen, Ohren und dem Herzen.

Die Ärztin Barbara (Nina Hoss) wird auf Grund ihres Ausreiseantrages in der DDR zwangsversetzt und permanenter Bespitzelung ausgesetzt. Weil sie nicht mehr weiß, wem sie noch trauen kann, fällt es ihr auch schwer, Kontakte zu den Kollegen herzustellen, obwohl sich der attraktive Arzt André (Ronald Zehrfeld) mächtig ins Zeug legt, ihr nahe zu kommen. An einer Liebelei ist Barbara auch deshalb nicht interessiert, weil sie eine Flucht zu ihrem Freund in den Westen plant. Doch je länger sie in dem kleinen Provinzkrankenhaus tätig ist, je mehr Einblick sie in die Beweggründe Andrés erlangt, desto mehr stellt sie ihre eigene Prioritätensetzung in Frage. Und es kommt zu dem klassischen Dilemma: Soll Barbara das Land, das ihr so vieles angetan hat, verlassen oder lieber bleiben und denen helfen, die ein ähnliches Schicksal erleiden?
Barbara besticht auf den ersten Blick durch seine Ausstattung. Das DDR-Flair ist in jeder Einstellung spürbar. Wenn die Hauptfigur mit ihrem Fahrrad durch die Umgebung fährt, fühle ich mich in meine Kindheit und Besuche auf der „Datsche“ meiner Oma im Berliner Umland erinnert. Auch die Menschen, auf die sie trifft, sind gerade so stereotyp, das sie zum Schmunzeln anregen, bleiben dabei aber stets glaubwürdig.
Der innere Konflikt der Figur ist für mich greifbar. Ich leide mit ihr, wenn sie wiederholt zu einer Leibesvisitation gezwungen und damit erniedrigt wird. Ich leide mit ihr, wenn sie unter der selbst erwählten Einsamkeit leidet, weil sie sich vor lauter Misstrauen niemandem mehr nähern kann. Und ich komme ebenfalls ins Grübeln, ob eine Flucht hier wirklich die richtige Entscheidung ist. Aber auch die anderen Charaktere sind keine bloßen Typen, sondern werden mit einer Geschichte ausgestattet, die ihr Handeln für uns begreifbar und nachvollziehbar macht. Sogar der Stasi-Spitzel (Rainer Bock) darf hier ganz Mensch sein, eigene Lasten tragen und Verzweiflung und Schwäche zeigen.
Für mich geht es in Barbara um Mündigkeit. Sie lebt in einem System, dass ihr Entscheidungen abnehmen, ihr eine Ideologie und Moral vorschreiben will. Doch wie in den Gesprächen mit Jörg (Mark Waschke) deutlich wird, erwartet sie im Westen doch wieder nur eine neue Art der Unmündigkeit, denn ihr Freund sieht für sie eine Existenz als Hausfrau und Mutter und die Aufgabe ihres Berufs vor. So ist die Entscheidung, die Barbara im Laufe des Filmes zu treffen hat, die für ein selbstbestimmtes Leben.  Dass dies auch in der DDR möglich ist, zeigt ihr André. Der stellt darüber hinaus ihre Moral in Frage, denn André selbst macht keinen Unterschied zwischen Systemkritiker, Stasi-Mitarbeiter und Normalbürger. Als Arzt ist er jedem gegenüber gleichsam zu Hilfe verpflichtet.
Auch wenn das Ende für mich persönlich sehr vorhersehbar war, konnte es mich trotzdem rühren. Ohne Kitsch und Tränendrüsenattacke kann Christian Petzold diese Story abrunden und lässt noch genug Raum dafür, dass wir selbst in unserem Kopf die Geschichte weiterspielen. Ein sehr gelungener Film. Applaus!

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