Donnerstag, 9. Februar 2012

Electrick Children


© Mattias Troelstrup/ Regie: Rebecca Thomas
Rachel (Julia Garner) ist Mormonin. Nicht irgendeine, sondern die Sorte, die in einer entlegenen Kolonie mitten in der Pampa von Utah lebt, abgeschnitten vom modernen Leben. Elektrizität und Technik sind nur präsent durch den Truck der Familie und einen Kassettenrekorder. Als sie letzteren heimlich im Keller ausprobiert, stößt sie auf ein Band mit Rockmusik. Kurz darauf, entdeckt die 15jährige, dass sie schwanger ist. Vollkommen davon überzeugt, dass es sich um eine unbefleckte Empfängnis handelt und dass sie Gottes Kind unter dem Herzen trägt, berichtet sie davon ihren Eltern. Doch die sehen darin nur einen Skandal und wollen ihre Tochter schnellstmöglich verheiraten. Da Rachel ihre Schwangerschaft unmittelbar mit der Kassette in Zusammenhang bringt, macht sie sich heimlich auf den Weg nach Las Vegas, um den Sänger ausfindig zu machen, der ihrer Meinung nach der Vater dieses Kindes sein muss. Als blinder Passagier ist ihr Bruder Mr. Will (Liam Aiken) mit an Bord, der von der Familie verstoßen wurde, da diese ihn für den Vater des Kindes hält. Gemeinsam treten sie in die fremde Welt von Las Vegas ein und lernen Clyde (Rory Culkin) kennen. Clyde lebt in einer Einrichtung für straffällige Jugendliche, wie wir später feststellen im Grunde freiwillig. Als auch Rachel begreift, dass der Sänger auf dem Band nicht der Vater des Babys ist, entsteht zwischen ihr und Clyde eine zaghafte Liebesgeschichte.

Der Film verzaubert durch Setting und Schauspieler gleichermaßen. Die Zurückgezogenheit der Mormonen und die damit einhergehende Naivität gegenüber der modernen Welt wird gelungen mit der „Stadt der Sünde“ Las Vegas kontrastiert. Obwohl sie so weit von unserer eigenen Realität entfernt ist, können wir uns auf Anhieb mit Rachel identifizieren. Das Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Lebenskonzepte, wie es durch ihre Freundschaft mit Clyde stattfindet, erzeugt einen liebevollen Humor, der uns mit ihr statt über sie lachen lässt. Rory Culkin als orientierungsloser Jugendlicher mit Herz überzeugt auf ganzer Linie. Entweder die Rolle wurde ihm auf den Leib geschrieben, oder aber er ist ein ausgezeichneter Schauspieler. Er spielt die andere männliche Hauptfigur, Mr. Will, glatt an die Wand, so dass diese oftmals unterzugehen droht. 

Während wir uns zu Beginn noch mit der Frage beschäftigen, wer denn nun der Vater von Rachels Kind sei, realisieren wir mehr und mehr, dass es darum im Grunde gar nicht geht. Sowohl Rachel als auch Clyde sind – wie vielleicht jeder Teenager – von ihrer Familie und ein bisschen von sich selbst entfremdet. Verzweifelt versuchen sie, ihre eigenen Lebenskonzepte zu entwerfen und umzusetzen. Dazu gehört eine ganze Menge Mut. Die Filmemacherin Rebecca Thomas, selbst Mormonin, achtet dabei darauf, keine der verschiedenen Lebensweisen zu verurteilen, sondern alle als Optionen nebeneinander zu stellen. Trotz ihrer Glaubenszugehörigkeit suchen wir vergeblich nach einem moralischen Zeigefinger, der uns vor vorehelichem Geschlechtsverkehr und den Verführungen der modernen Welt warnt. Insbesondere durch Clydes Figur, wird die Geschichte von der religiösen Basis abgelöst, da auch sein innerer Konflikt in diesem Film Platz hat und wir die Parallelen zu Rachel wahrnehmen können. Mr. Will kämpft daneben seinen eigenen Kampf und es ist schade, dass er in einigen Passagen zur Randfigur verkommt. Am Ende frage ich mich gar, ob die religiöse Thematik für die Geschichte unbedingt notwendig ist, oder es sich hier um eine beliebige Coming of Age Story handelt. Vielleicht verzichtet die Filmemacherin deshalb darauf, die Glaubensgemeinschaft, aus der Rachel stammt, zu benennen. Dass es sich um Mormonen handelt, weiß ich nur aus dem Presseheft. Es könnte sich auch um irgendeine andere christliche Sekte handeln, die sich durch den Rückzug von der Welt auszeichnet.

Am besten hat mir gefallen, dass das Rätsel um Rachels Schwangerschaft bis zum Ende nicht gelüftet wird und es somit uns überlassen ist, ihren Zustand zu interpretieren. Wir dürfen selbst unser Glaubens- und Weltmodell auf diesen Film übertragen und einen Sinn daraus generieren. Auch wenn das amerikanische Ende, das Rachel, Clyde und das ungeborene Kind als die heilige Familie inszeniert, den Genuss etwas schmälert, zieht Electrick Children den Zuschauer in den Bann und weiß eine herzergreifende und auch unterhaltsame Geschichte zu erzählen. 



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