Donnerstag, 16. Februar 2012

Csak a szél

©Berlinale/ Regie: Bence Fliegauf
Eine meiner frühen Kindheitserinnerungen ist eine Szene, in  der  vor unserer Wohnungstür Kinder stehen, die meine Mutter als Zigeuner bezeichnet. Sie betteln und meine Mutter schenkt ihnen ein Paket Kaugummi. Heute begegne ich den sogenannten Zigeunern vor allem im Berliner Wedding, wo sie vor Karstadt und Woolworth sitzen und die Passanten um Kleingeld anflehen. Meist sind es Frauen mit kleinen Kindern, die nicht dem Wetter entsprechend gekleidet sind und sehr elendig aussehen. Ich entwickle regelmäßig Aggressionen, weil ich das Gefühl habe, dass sie den erbärmlichen Zustand der Kinder missbrauchen, um Mitleid zu erregen. Auch wenn mir natürlich klar ist, dass niemand aus freien Stücken sich oder seine Familie einer derartigen Situation aussetzt, verdrängt in diesen Momenten eine ratlose Wut das notwendige Verständnis.

Csak a szél vermag leider nicht, meinen Blick auf das Leben der "Zigeneuer" grundlegend zuverändern, auch wenn ich hier einmal einen anderen Einblick in das Leben der Roma bekomme. Der Film von Bence Fliegauf spielt in Ungarn und beschäftigt sich mit den realen Morden an mehreren Roma-Familien in seinem Heimatland. Anhand einer Familie stellt Fliegauf das Leben der Roma exemplarisch dar, macht aber auch deutlich, dass sich hier nicht alle Angehörigen dieser Volksgruppe in einen Topf werfen lassen. Die Figuren, die er in den Mittelpunkt stellt, sind bemüht und passen nicht ins Bild des kriminellen und freiwillig verwahrlosten Zigeuners, das wir uns gerne basteln, um das Thema abzutun. Die Mutter hat gleich zwei Jobs um Geld für eine Auswanderung nach Kanada zu sammeln, die große Schwester geht fleißig zur Schule und kümmert sich um die Nachbarskinder. Auch wenn der Sohn der Familie es mit der Bildung nicht so genau nimmt, übernimmt er trotz seiner jungen Jahre Verantwortung und richtet in der Nähe des Hauses in einem verlassenen Bunker ein Refugium für den Notfall ein. Denn in der Nachbarschaft gab es in letzter Zeit mehrere Vorfälle, bei denen Roma-Familien systematisch hingerichtet wurden. Die verbleibenden Bewohner des Waldgebietes leben seitdem in großer Angst.

Bence Fliegauf zeigt uns das harte Leben der Roma ungeschönt, aber ohne Mitleid zu erregen. Csak a szél hat es nicht nötig, mit Hilfe von Musik und rührseliger Handlung sein Publikum um Tränen zu erpressen. Stattdessen begleitet die Kamera die Figuren aus beobachtender Perspektive durch einen ganz normalen Tag. Mich stört der enge Fokus des Films, sowohl auf der Handlungs- als auch auf der Darstellungsebene. Über die Hintergründe der Familie erfahren wir nichts, wodurch meine große Frage, wieso die Roma eigentlich gezwungen sind unter den gezeigten Bedingungen zu leben, unbeantwortet bleibt. Die Kamera ist stets sehr nah an den Figuren dran, was für die Augen zuweilen anstrengend wird. Mich persönlich stört es grundsätzlich, wenn ich mir nicht aussuchen kann, wo ich hingucke. So passiert es mir in Csak a szél mehrfach, dass ich mir den Hintergrund einer Szene ansehen will, die Unschärfe es jedoch verhindert. Ich fühle mich von Bence Fliegauf zu sehr auf eine einzige, nämlich seine, Perspektive festgelegt.

Grundsätzlich gefällt mir die Thematik des Films und die nüchterne Darstellung, die uns nicht nur mit mahnendem Zeigefinger auffordert, unsere Vorurteile über Bord zu schmeißen, sondern durchaus auch Belege dafür liefert, dass hinter jedem Stereotyp auch ein wenig Wahrheit steckt. Bence Fliegauf will uns hier nicht mit einer glorifizierenden Darstellung für dumm verkaufen, sondern zeigt auch eindrücklich die Ursache für die uns allen bekannte Stereotypen: Einige der Nachbarn der Hauptfiguren leben in abgewrackten Behausungen und vegetieren ebenso lethargisch vor sich hin, wie man es dem „faulen Zigeunerpack“ gerne unterstellt. Bence Fliegauf warnt aber vor der Unterscheidung in „gute“ und „schlechte“ Roma, in dem er eben diese Rhetorik einem Polizisten in den Mund legt, der uns durch seine unsympathische Art die unangebrachte Anmaßung einer solchen Differenzierung vor Augen führt. Insgesamt aber greift der Film für mich ein wenig zu kurz. Es ist zwar eindeutig sein Anliegen, die schwierigen Lebensbedingungen der Roma in Ungarn zu portraitieren, doch liefert er durch seinen engen Fokus zu wenig Hintergrundinformationen, um die Problematik in ihrer Gänze zu erfassen. Ich hätte mir gewünscht, dass eine filmische Auseinandersetzung mit dem Thema dazu führt, dass wir mit einem grundlegend veränderten Blick oder doch zumindest einem gewachsenen Interesse aus dem Kino hinaus gehen. Bei einem bereits sensibilisierten Publikum mag das nicht all zu schwer ins Gewicht fallen, doch stark vorurteilsbelastete Zuschauer werden ihre Meinung wohl auf Grund dieses Films nicht komplett überdenken.

Stilistisch hat mir Csak a szél nicht gefallen. Das gewählte Thema finde ich großartig, doch fehlen mir hier zu viele Aspekte, um von dem Film wirklich eingenommen zu sein. Wirklich schade.

Mehr zum Film

Pressespiegel auf film-zeit.de

2 Kommentare:

  1. Entschuldige bitte, aber: Was ich beim Bloggen oft nicht verstehe ist, warum manche Leute offenkundige Dummheit so schamlos vor sich hertragen. Und wenn Du Dich hier - gut gemeint, schon klar - so offenherzig des Anti-Ziganismus (ja, genau, so heisst das) überführst - bitte, lies' doch einfach mal ein Buch, über Roma und Sinti, über eine europäische Geschichte von Verfolgung, Ausgrenzung, erzwunger Armut und eine deutsche Geschichte des Massenmords (und womöglich sogar ein wenig Sozialtheorie darüber, warum Menschen nicht selten 'so werden', wie es von erwartet wird, und das nicht, weil sie sich aus Jux und Dollerei dafür entscheiden, sondern ihnen eine andere Alternative in ihren - nicht selbstgewählten und ent-menschlichenden - Lebensumständen nicht sinnvoll erscheint) anstatt die Welt mit "Deinem Verhältnis zu 'Zigeunern'" zu belästigen. Es bildet ungemein.

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  2. Erst kürzlich habe ich einen Artikel zu dem Thema gelesen, der sehr informativ und berührend war. Meine Kritik an Csak a szél ist ja gerade die, dass er uns mit, meiner Meinung nach, zu wenigen Informationen versorgt. Mir ist sehr wohl klar, dass sich niemand aussucht so zu leben und das dahinter eine schreckliche, menschenverachtende Politik steht. Für mich aber ist genau das in diesem Film zu kurz bekommen. Meine persönlichen Erfahrungen mit Roma und Sinti sind die oben beschriebenen. Mein Problem mit Csak a szél ist, dass er unseren alltäglichen Blick nicht zu verändern vermag, wenn wir nicht aus anderen Gründen bereits für das Thema sensibilisiert sind. Ich denke, dass in meinem Artikel deutlich wird, dass ich einen leichtfertigen Umgang und eine unreflektierte Verurteilung von "Zigeunern" nicht gut heiße. Den Vorwurf des Anti-Ziganismus muss ich daher zurück weisen. Ich nehme Kommentare wie Deinen sehr ernst, da ich in solchen Punkten in keinem Fall missverstanden werden möchte und werde mir daher Mühe geben, meine Position in dem Artikel klarer zu formulieren.

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