Freitag, 10. Februar 2012

Extremely Loud and Incredibly Close


© Warner Bros./ Regie: Stephen Daldry
Schon in den ersten fünf Minuten, der Vorspann ist kaum vorbei, wird mir klar, dass ich diesen Film nicht ohne ein Taschentuch überleben werde. Ich muss also meinen Sitznachbarn, den ich glücklicher Weise kenne, schon mal vorsorglich Anschnorren. Diese Taktik erweist sich als sinnvoll, denn auf halber Strecke löst sich der fiese Kloß in meinem Hals dann leider doch in Augen-Pippi auf. Peinlich, aber zum Glück ist es im Kino ja dunkel.

Ich finde es ja eigentlich gar nicht so schlimm, bei einem Film zu weinen. Was mich bei Extremely Loud and Incredibly Close aber so nervt, ist der Fakt, dass der Film von Beginn offen dazu steht, dass der Druck auf die Tränendrüse sein primärer Wirkungsmechanismus ist. Insbesondere die letzten zwanzig Minuten bestehen aus einer regelrechten Folter. Stephen Daldry zieht alle Register um auch dem emotional unterkühltesten Zuschauer noch ein Tröpfchen abzuringen.

Dabei hat der Film diesen Mechanismus im Grunde gar nicht nötig. Die Schauspieler spielen derart intensiv, dass selbst – oder vielleicht gerade - die am wenigsten inszenierten Szenen, die auf die dramatische Musikuntermalung verzichten, zu den emotionalsten werden. Dabei sticht vor allem die Leistung von Thomas Horn ins Auge, der hier das erste Mal vor einer Kamera steht und die vielfältigen Emotionen seiner komplexen Figur glaubwürdig und eindringlich zu vermitteln vermag. Auch Sandra Bullock überrascht mich sehr in ihrem Portrait einer Mutter, die mit ihrer Trauer und Schuld kämpft und gleichzeitig versucht, trotz ihrer Schwäche, eine Stütze für ihren Sohn zu sein. Fantastisch ist auch Max von Sydow, in dessen Mimik sich all die Gefühle von Trauer und Schmerz zu spiegeln scheinen, die der junge Protagonist so fleißig zu verdrängen sucht. 

Dass Extremely Loud and Incredibly Close eine so ergreifende Geschichte zu erzählen weiß, können wir leider nicht dem Film oder seinen Machern zuschreiben. Das Lob muss an dieser Stelle dem Autor der Romangrundlage Jonathan Safran Froer gelten. Was wir Stephen Daldry aber zugestehen müssen, ist, dass er die psychologische Situation seines Protagonisten sehr in gut ins filmische Medium zu übersetzen weiß. Die Angst des Jungen vor der Stadt an sich, ihren Geräuschen und Gerüchen, die er stets als Gefahr empfindet, wird für uns erlebbar. Negativ ist ihm leider anzulasten, dass er es nicht geschafft hat, den Film auf eine befriedigende Art und Weise abzurunden. Sicher ist es wichtig, am Ende alle Handlungsstränge zusammenzufügen und aufzulösen, doch ist diese Auflösung zu lang und tränenreich geraten, um unangetastet stehen bleiben zu können. Vielmehr beschleicht mich hier das unangenehme Gefühl, emotional vergewaltigt zu werden. Noch eine Träne, noch ein Schluchzen, komm schon, raus damit! 

In der Geschichte von Extremely Loud and Incredibly Close geht es um einen Jungen, der ein Jahr nach dem Tod seines Vaters durch 9/11 einen geheimnisvollen Schlüssel findet. Er ist davon überzeugt, dass sich hinter diesem Schlüssel, oder vielmehr dem passenden Schloss, eine Nachricht seines Vaters verbirgt. Auf seiner Suche nach der Lösung des Rätsels trifft er auf zahlreiche Menschen, die alle auf die eine oder andere Art und Weise mit einem Schicksalsschlag umgehen müssen. Hier offenbart sich für mich das wahre Thema des Films. Es geht gar nicht so sehr um 9/11 als um die Bewältigung eines traumatischen Erlebnisses allgemein. Konfrontation und Verdrängung werden gegeneinander abgewogen. In der Person der Hauptfigur Oscar werden psychologische Mechanismen offenbar, die in einer solchen Situation zu Tage treten – vielleicht ein paar zu viel auf einmal, so dass der Film zuweilen wie ein universitäres Lehrstück wirkt. 

Die ersten beiden Drittel werde ich noch in die Story aufgesogen, dann aber überwiegt die Ablehnungshaltung gegen die ewig melancholische, um nicht zu sagen depressive Stimmung. Ich nenne es das Spielberg-Phänomen: Eine halbe Stunde weniger hätte die Qualität des Films um ein vielfaches gesteigert. Schade, dass sich auch der Twist um den Untermieter der Großmutter zumindest für mich vom ersten Moment an als vorhersehbar gestaltet.

Stephen Daldry weiß, wie er den emotionalen Nerv seines Publikums treffen kann. Es kommt wohl darauf an, wie offen man für derartiges Hollywood-Kino ist. Für mich war es eine Portion zu viel. Dennoch rechne ich dem Film die Auseinandersetzung mit dem Thema 9/11 positiv an. Wer gerne im Kino heult, wird seine Freude haben… oder so ähnlich. 



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