Sonntag, 10. Februar 2013

Gloria


© Berlinale

Noch so ein Film für die Ü40-Generation, dachte ich mir heute morgen in der Pressevorführung von Gloria. Ja, solche Filme muss es auch geben, aber oft fehlt mir persönlich doch ein wenig der Zugang. Und dann kam alles anders: Gloria entpuppte sich als der perfekte Start in den Berlinale-Tag.

Im Grunde macht die 58 jährige Gloria (Paulina Garcia) genau das, was Single-Frauen auch in meinem Alter machen. Sie geht tanzen, sie flirtet mit Männern und sie gönnt sich sexuelle Abenteuer, wenn sie dem richtigen Kerl begegnet oder betrunken genug ist, um nicht so genau hinzuschauen. Und genauso wie wir jüngeren Frauen greift sie bei ihrer Männerwahl auch mal ins Klo. Und genau dort findet sie Rodolfo, mit dem sie einen kurzen zweiten Frühling erlebt, nur um dann noch härter auf dem Boden der Tatsachen aufzuschlagen. Doch Gloria lässt sich nicht unterkriegen.

Selten habe ich einen Film gesehen, der eine Frau derart komplex und vor allem stark portraitiert. Gloria ist für mich in allen Facetten absolut glaubwürdig. Als alleinstehende Frau sucht sie verstärkt den Kontakt zu ihren erwachsenen Kindern („Soy tu mamá“ – „Ich bin Deine Mutter“, sagt sie immer wieder), die diese Nähe zu ihrer Mutter im Grunde nicht mehr brauchen. Doch dies ist kein Film über den Abnabelungsprozess der jüngeren Generation, weshalb diese Facette der Hauptfigur nicht problematisiert wird. Gloria ist vielmehr als nur eine Mutter. Sie ist berufstätig, sie hat einen Freundeskreis, sie ist unternehmungslustig.

Gloria wirkt zu Beginn des Films ruhelos. Fast jeden Abend begibt sie sich in das Tanzcafé, flirtet offensiv und vor allem erfolgreich. Als sie Rodolfo kennenlernt, macht sie das nicht ruhiger. Nicht nur, weil die beiden viel gemeinsam unternehmen, sondern auch, weil Rodolfos starke Bindung an seine geschiedene Frau und die gemeinsamen erwachsenen Kinder immer wieder die neue Beziehung belastet. Das Besondere ist hier, dass Gloria niemals als Opfer erscheint und zwar deshalb, weil sie sich nicht zum Opfer machen lässt. Dennoch muss sie erst tief fallen, um ihre eigene Stärke und Unabhängigkeit zu begreifen. Dass sie am Ende beim Sturm auf die Tanzfläche ihre Brille abnimmt, ist für mich ein symbolischer Akt. Durch ihre zunehmende Sehbehinderung kann sie ohne Brille nicht mehr flirten. Sie tanzt jetzt nur noch für sich. Gloria braucht keinen Mann. Sie ist sich selbst genug.

Der chilenische Regisseur Sebastián Lelio setzt den Fokus ganz klar auf die weibliche Hauptfigur. Angeblich, so das Pressematerial, ist sie körperlich in jedem einzelnen Frame anwesend. Ich kann das nicht so recht glauben, würde mir den Film aber gerne noch einmal ansehen, um dies zu überprüfen. In jedem Fall wird die Geschichte durchgehend aus Glorias Perspektive erzählt. Auch wenn wir viele andere Figuren in verschiedenen Lebenssituationen kennenlernen, ziehen diese niemals die Aufmerksamkeit von der Hauptfigur ab. Paulina Garcia wird dieser zentralen Rolle gerecht und ihre überzeugende Darstellung macht sie definitiv zu einer Bären-Kandidatin.

Abgesehen von der Hauptdarstellerin hat mir auch Lelios Mut gefallen, die Geschichte einer Frau um die 60 ebenso explizit darzustellen wie die einer 20 jährigen. Es gibt mehrere durchaus freizügige Sexszenen, in denen wir die sichtbar alternden Körper von Gloria und Rodolfo in aller Deutlichkeit sehen. Dadurch entsteht immer ein Moment der Irritation, weil wir es einfach nicht gewohnt sind, nackte Körper zu sehen, die nicht unserem Ideal makelloser Schönheit entsprechen. Da die Kamera auf mich zu keinem Zeitpunkt voyeuristisch wirkt, die Protagonisten nicht zum Objekt der Belustigung des Zuschauers macht (ein Gefühl, das mich bei Paradies: Hoffnung mehrfach beschlich), formuliert Gloria ein starkes Statement dafür, dass auch einer Frau jenseits der 50 ein erfülltes Sexualleben zusteht. Das mag trivial klingen, ist es aber mitnichten.

Gloria ist aus feministischer Sicht in meinen Augen ein sehr starker Film, der im Wettbewerb ganz vorne mitspielt und neben der vorbildlichen Frauendarstellung auch noch immens unterhaltsam ist. Vor allem der Soundtrack hat es mir angetan. Ich würde mir sehr wünschen, dass es der Film eines Tages in unsere Kinos schafft. Aber irgendwas sagt mir, dass sich am Ende dann doch keiner für die Irrungen und Wirrungen einer 58 jährigen Frau interessiert...

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