Freitag, 8. Februar 2013

Paradies: Hoffnung


© Ulrich Seidl Film Produktion GmbH

Wie viel dicke Mädchen darf ein Film über dicke Mädchen zeigen? Diese Frage ging mir während der Pressevorführung zu Paradies: Hoffnung immer wieder durch den Kopf. Und ich meine diese Frage weniger quantitativ, also welche Anzahl von Mädchen, sondern eher qualitativ, also wie viel von diesen Mädchen darf gezeigt werden. 

Ulrich Seidls letzter Teil der Paradies-Trilogie spielt in einem Diätcamp, in dem sich die Tochter eben jener Frau befindet, die in Paradies: Liebe Urlaub in Kenia macht. Die 13 jährige Melanie (Melanie Lenz) kämpft in dieser Zeit nicht nur gegen die Pfunde, sondern vor allem mit der heimlichen Liebe zum Camp-Arzt (Joseph Lorenz). Der scheint ihre Annäherungsversuche zunächst zu erwidern, doch letztendlich laufen Melanies Hoffnungen ins Leere.

Im Kontext dieses Settings ist es nur natürlich, dass wir die Mädchen und Jungen des Camps auch in körperbetonter Kleidung sehen. Warum jedoch insbesondere Mädchen stets in knapper Kleidung, mit hautengen Leggings oder gar lediglich in Unterwäsche zu sehen sind, erschließt sich mir nicht vollends. Einige der BH-Szenen sind meiner Meinung nach nicht notwendig und stellen die Schauspielerinnen unnötig bloß. Zudem wirken sie in einem Film, der sich auch den pädophilen Neigungen eines erwachsenen Mannes annimmt, deplatziert. Es ist ja nicht nur der Arzt, der es scheinbar genießt, Melanie wieder und wieder zu untersuchen. Auch wir starren das Mädchen ja unentwegt an. Für meinen Geschmack gibt Seidl die Protagonisten zu sehr der Lächerlichkeit preis. 

Von diesem moralischen Bedenken abgesehen hat mir Paradies: Hoffnung gut gefallen. Ulrich Seidl gelingt es mit seiner Improvisationsmethode die jugendlichen Schauspieler immens authentisch zu inszenieren. Die wiederkehrenden, statischen Einstellungen vestärken die dokumentarische Illusion. Insbesondere die ausgelassenen Szenen im Mädchenzimmer wirken extrem natürlich, als würde hier nicht geschauspielert, sondern ganz real über die ersten sexuellen Erfahrungen gesprochen. 

Während Melanie wie aus dem Leben gegriffen wirkt, konnte ich die Figur ihres Schwarms schwer einordnen. Sind die Flirtereien des Arztes nur Projektionen jugendlicher Wunschträume? Um was geht es dem erwachsenen Mann wirklich? Spürt er in der Tat eine erotische Anziehung, gegen die er ankämpft? Und warum wird das Tabu dieser Liebe an keiner Stelle thematisiert? Auch in Melanies lauten Überlegungen, ob ihre Zuneigung wohl erwidert werde, ist der Altersunterschied – im Gegensatz zu ihrem Gewicht – kein Thema. 

Die extrem sparsame Ausstattung der Spielorte und der militärische Drill der jungen Diät-Kurgäste erzeugen eine humorvolle Absurdität. Insbesondere wenn die schlanke Vorturnerin im pinken Jogginganzug „If you're happy and you know it clap your fat“ anstimmt und sich die Jugendlichen beherzt auf Bäuche, Schenkel und Hintern klopfen, kann auch ich trotz aller Sorge um die Würde der Darsteller nicht umhin, breit zu Schmunzeln. Worum es Ulrich Seidl mit dieser geradezu surrealen Inszenierung genau geht, ist mir jedoch leider nicht ganz klar. 

Es war für mich das erste Aufeinandertreffen mit Ulrich Seidls sehr eigenem Stil, der mich durchaus überzeugt hat. Auch deswegen möchte ich unbedingt zeitnah die ersten beiden Teil der Trilogie Paradies: Liebe und Paradies: Glaube nachholen. Vielleicht klären sich ja dann auch einige der hier formulierten Fragen.


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