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Eigentlich bin ich etwas zu jung, um mit dem Namen River
Phoenix etwas anfangen zu können. Von seinem Tod erfuhr ich aus der Bravo, aber
damals hatte ich keine Ahnung, um wen es sich eigentlich handelte. Inzwischen
weiß ich das natürlich. Deshalb beschlich mich auch ein merkwürdiges Gefühl als ich
mit Dark Blood Rivers letzten Film ansah. Zwanzig Jahre nach seinem Tod hat
Regisseur George Sluizer das bereits abgedrehte Material zu einem
unvollständigen Kinospielfilm zusammengestellt.
Ob das funktioniert, ist keine ganz einfache Frage. Es kommt
wohl darauf an, was man erwartet. River Phoenix verstarb Ende Oktober 1993 in
L.A., wo die Innenaufnahmen für Dark Blood gedreht werden sollten.
Dementsprechend fehlt in der nun vorliegenden Version ein Großteil der Szenen,
die sich in geschlossenen Räumen abspielen. Die Außenszenen waren bereits in
Utah abgedreht worden, weshalb der Film, so wie ich ihn nun sehen durfte, fast
vollständig unter freiem Himmel spielt.
Das Schauspielerehepaar Buffy (Judy Davis) und Harry
(Jonathan Pryce) verbringt seinen Urlaub in der Wüste, besichtigt ehemalige
Indianerdörfer und genießt die Abgeschiedenheit. Diese jedoch wird ihnen zum
Verhängnis, als sie mitten im Nirgendwo mit einer Autopanne liegen
bleiben. Kein Mensch weit und breit. Doch Buffy und Harry haben Glück und
treffen den Witwer Boy (River Phoenix), der in der Nähe ein kleines Häuschen
bewohnt. Der junge Mann, nach eigener Aussage Achtelindianer (das Wort „Native
American“ war offenbar in den 90ern noch nicht so modern), wirkt von Anfang an
ein wenig verschroben. Der Tod seiner Frau an den Folgen der in der Umgebung
durchgeführten Atomtests hat ihn sehr mitgenommen. Boy rechnet jeden Tag mit
dem Weltuntergang und hat sich bestens auf die Apokalypse vorbereitet. Als er
Buffy begegnet, glaubt er in ihr eine Seelenverwandte zu entdecken, mit der er
nach der atomaren Katastrophe die Erde neu bevölkern möchte. Seine anfängliche
Hilfsbereitschaft entpuppt sich als gefährlicher Wahn.
Im Grunde ist Dark Blood ein Psychothriller. Die Story könnte man sich heute durchaus auch als Torture Porn vorstellen. Boy wird immer
unberechenbarer und gewaltbereiter, die Lage von Buffy und Harry immer
aussichtsloser. Denn da Boy an der schönen Schauspielerin Gefallen gefunden
hat, hält sich sein Interesse an der Weiterreise des Paares stark in Grenzen. Weit
entfernt von der nächsten Stadt, mitten in der erbarmungslos heißen Wüste, gibt
es für Buffy und Harry im Grunde kein entrinnen. Die durchaus gegenseitige
Anziehung zwischen Buffy und Boy verleiht diesem Konzept eine erotische Nuance
(Ich dachte so still bei mir: Wäre 50 Shades of Grey zwanzig Jahre früher
geschrieben worden, hätte River Phoenix zweifelsohne die Hauptrolle gespielt). Da
ist irgendetwas an diesem verwirrten jungen Mann, dass die nicht ganz so
knackige Schauspielerin anzieht. Es ist nicht seine Jugend, es ist gerade diese
diabolische Aura, die ihn umgibt, und die Direktheit, mit der er seinem
Begehren Ausdruck verleiht. Bis zum Ende ist Buffy hin und hergerissen zwischen
Angst und Sehnsucht. Diese Ambivalenz, das Spiel mit dem Feuer wird zu einem prickelnden Subplot, der für mich das interessanteste Element der Geschichte ist.
Das wirklich Tragische an der unfertigen Version von Dark
Blood ist, dass gerade diese spannende Beziehung zwischen Buffy und Boy nicht
ausgespielt wird, da ihre intimsten Szenen selbstverständlich nicht mitten in
der Wüste stattfinden, sondern Teil der Innenaufnahmen waren, die nicht mehr
durchgeführt werden konnten. So fehlen insbesondere die Teile der Geschichte,
in denen sich die beiden näher kommen, wie Buffy Schritt für Schritt
realisiert, dass sie es mit einem Wahnsinnigen zu tun hat und auch einige der
Psychospielchen, die Boy gen Ende mit seinen „Gästen“ treibt. George Sluizer
ersetzt diese Szenen durch eine Erzählstimme, die zwar die inhaltlichen Lücken
füllen, selbstverständlich aber nicht die entsprechende Atmosphäre erzeugen
kann. Darunter leidet die Entwicklung der Charaktere und ihrer Beziehungen.
Meiner Meinung nach funktioniert Dark Blood trotzdem. Es
kommt aber wie gesagt darauf an, was man erwartet. Auch wenn mich die Musikuntermalung
manchmal ein wenig daran erinnerte, erleben wir hier keinen psychologisch
ausgetüftelten David Lynch Film. Die Atmosphäre kann durch das fehlende
Material nicht die notwendige Dichte erreichen, um den Zuschauer wirklich
mitzureißen. Aber muss sie das? Dark Blood ist für mich kein unvollständiger
Film, sondern eine andere Art Film. Das Experiment, Plotlöcher durch Erzählungen
und Erklärungen zu füllen - George Sluizer versorgt uns durchaus mit
Informationen, die wir der reinen Handlung nicht entnommen hätten – ist meines
Erachtens gelungen. Etwas in mir sträubte sich mit aller Kraft gegen die
Auslassungen und verlangte danach, diese Szenen zu sehen, bei denen es sich ja
auch noch um die emotionalsten des Films handelte. Aber gerade diese Sehnsucht
danach, den Streit, den Sex, den Wahnsinn, die Bedrohung ausagiert zu sehen
statt nur erzählt zu bekommen, ist eine interessante Beobachtung an mir selbst.
Das Fehlen einzelner Plotelemente verleiht überdies Einblick in
den Entstehungsprozess eines Spielfilms und zeigt wie sehr die Handlung durch
die Dreharbeiten fragmentiert wird. Dark Blood ist also ein interessantes
filmisches Experiment, nicht notwendiger Weise ein spannender Film. Aber dann
wieder zeichnen sich die meisten Filme im Berlinale Wettbewerb ohnehin nicht
durch eine mainstreamtaugliche Dramaturgie aus. Warum also dieser?
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