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Was ich absolut nicht vertragen kann, ist, wenn in einem
Film Tiere gequält werden. Außerdem habe ich ein wirklich gravierendes Problem,
anderen Leuten beim Kotzen zuzusehen. Insofern war Harmony Lessons nicht
unbedingt der optimale Start in den Berlinale-Tag. Umso erstaunlicher, dass mir
der Film trotzdem gut gefallen hat.
Wenn ich nach dieser Einleitung von „schönen“ Bildern
spreche, ist das natürlich verwirrend. Aber selbstverständlich geht es in
Harmony Lessons noch um Einiges mehr als nur Tierquälerei und Erbrochenes.
Regisseur Emir Baigazin erzählt die Geschichte des ca. 14 jährigen Mobbingopfers Aslan (Timur
Aidarbekov). Nachdem er vom Gangoberhaupt Bolat (Aslan Anarbayev) als Persona
Non Grata erklärt wird, richtet Aslan seine Aufmerksamkeit verstärkt nach
innen. Seine intensive Beschäftigung mit der eigenen Gesundheit und Hygiene
nimmt geradezu zwanghafte Formen an. Als er erfährt, dass Kakerlaken
Krankheitserreger übertragen, beginnt er Folter- und Tötungsmethoden für die
Insekten zu entwickeln. Schon hier merken wir, dass der Junge eine tickende
Zeitbombe ist, die sich ihre Aggressionen sorgfältig für den großen Gegenschlag
aufspart.
Anders als der Titel vermuten ließe, geht es in Harmony
Lessons vor allem um Gewalt. Bolat terrorisiert Aslan und seine Mitschüler, ist
im Grunde aber selbst nur das Glied einer längeren Kette von Aggression. Wie
sich im späteren Verlauf zeigt, sind die Erwachsenen in dieser Hinsicht keinen
Deut besser. Harmony Lessons ist wahrlich kein „easy viewing“. Mehr als einmal
musste ich wegschauen. Zum Beispiel wenn Aslan, der in der kasachischen Einöde
unter einfachsten Bedingungen lebt, vor laufender Kamera ein Schaf schlachtet,
ihm die Haut abzieht, die Eingeweide herausnimmt, dabei ein Embryo entdeckt und
diesem ebenfalls die Kehle durchschneidet. Zu Beginn habe ich mich gefragt,
warum uns Emir Baigazin mit diesen unnötig expliziten Bildern quält. Doch im
Grunde sind sie die konsequente Einleitung eines Films, dessen permanente Gewalt
uns einfach nur anekelt. Nicht weil wie in einem Actionfilm das Blut spritzt
und Leute sich am laufenden Band die Köpfe einschlagen. Doch der Psychoterror, den Bolat durch seine Herrschaft ausübt, ist derart grausam, dass es in der
Pressevorführung einen spontanen Szenenapplaus gab, als der Gangleader endlich selbst eine
verpasst bekam. Aber nicht nur Bolat, auch Aslan ist nicht unbedingt das, was
man einen Sympathieträge nennt. Dass er für die Kakerlaken einen elektrischen
Stuhl bastelt, auf dem er sie dann für das Stehlen von Nahrung bestraft, ist
schon ziemlich unheimlich, um nicht zu sagen abstoßend.
Trotz meiner Begeisterung für die Inszenierung, die Art und
Weise wie Emir Baigazin die Innenwelt seines Protagonisten durch Bildkompositionen
veranschaulicht, und die packende Story, habe ich mich nach dem Film ein wenig
nach dem „Warum“ gefragt. Mobbing, bzw. Bullying, wie es heute auch genannt
wird, ist durchaus ein beliebtes und auch wichtiges Thema. Doch war mir der
inhaltliche Mehrwert dieser kasachischen Variante nicht ganz klar. Wenn ich den
Film also weiterempfehle, dann mehr wegen seiner Machart, weniger auf Grund
seiner Geschichte und definitiv nicht auf Grund seiner expliziten Darstellung von
Folter und Magenentleerungen.
Außerdem sei Harmony Lessons jedem ans Herz
gelegt, der schon immer einmal ein kasachisches Martial-Arts-Schaf sehen
wollte. Und da reichen dann auch die ersten 60 Sekunden!
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