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Im Grunde macht die 58 jährige Gloria (Paulina Garcia) genau
das, was Single-Frauen auch in meinem Alter machen. Sie geht tanzen, sie
flirtet mit Männern und sie gönnt sich sexuelle Abenteuer, wenn sie dem
richtigen Kerl begegnet oder betrunken genug ist, um nicht so genau hinzuschauen. Und genauso wie wir jüngeren Frauen greift sie bei
ihrer Männerwahl auch mal ins Klo. Und genau dort findet sie Rodolfo, mit dem
sie einen kurzen zweiten Frühling erlebt, nur um dann noch härter auf dem Boden
der Tatsachen aufzuschlagen. Doch Gloria lässt sich nicht unterkriegen.
Selten habe ich einen Film gesehen, der eine Frau derart
komplex und vor allem stark portraitiert. Gloria ist für mich in allen Facetten
absolut glaubwürdig. Als alleinstehende Frau sucht sie verstärkt den Kontakt zu
ihren erwachsenen Kindern („Soy tu mamá“ – „Ich bin Deine Mutter“, sagt sie
immer wieder), die diese Nähe zu ihrer Mutter im Grunde nicht mehr brauchen.
Doch dies ist kein Film über den Abnabelungsprozess der jüngeren Generation,
weshalb diese Facette der Hauptfigur nicht problematisiert wird. Gloria ist
vielmehr als nur eine Mutter. Sie ist berufstätig, sie hat einen Freundeskreis,
sie ist unternehmungslustig.
Gloria wirkt zu Beginn des Films ruhelos. Fast jeden Abend
begibt sie sich in das Tanzcafé, flirtet offensiv und vor allem erfolgreich.
Als sie Rodolfo kennenlernt, macht sie das nicht ruhiger. Nicht nur, weil die
beiden viel gemeinsam unternehmen, sondern auch, weil Rodolfos starke Bindung
an seine geschiedene Frau und die gemeinsamen erwachsenen Kinder immer wieder
die neue Beziehung belastet. Das Besondere ist hier, dass Gloria niemals als
Opfer erscheint und zwar deshalb, weil sie sich nicht zum Opfer machen lässt.
Dennoch muss sie erst tief fallen, um ihre eigene Stärke und Unabhängigkeit zu
begreifen. Dass sie am Ende beim Sturm auf die Tanzfläche ihre Brille abnimmt,
ist für mich ein symbolischer Akt. Durch ihre zunehmende Sehbehinderung kann
sie ohne Brille nicht mehr flirten. Sie tanzt jetzt nur noch für sich. Gloria
braucht keinen Mann. Sie ist sich selbst genug.
Der chilenische Regisseur Sebastián Lelio setzt den Fokus
ganz klar auf die weibliche Hauptfigur. Angeblich, so das Pressematerial, ist
sie körperlich in jedem einzelnen Frame anwesend. Ich kann das nicht so recht
glauben, würde mir den Film aber gerne noch einmal ansehen, um dies zu
überprüfen. In jedem Fall wird die Geschichte durchgehend aus Glorias
Perspektive erzählt. Auch wenn wir viele andere Figuren in verschiedenen
Lebenssituationen kennenlernen, ziehen diese niemals die Aufmerksamkeit von der
Hauptfigur ab. Paulina Garcia wird dieser zentralen Rolle gerecht und ihre überzeugende
Darstellung macht sie definitiv zu einer Bären-Kandidatin.
Abgesehen von der Hauptdarstellerin hat mir auch Lelios Mut
gefallen, die Geschichte einer Frau um die 60 ebenso explizit darzustellen wie
die einer 20 jährigen. Es gibt mehrere durchaus freizügige Sexszenen, in denen
wir die sichtbar alternden Körper von Gloria und Rodolfo in aller Deutlichkeit
sehen. Dadurch entsteht immer ein Moment der Irritation, weil wir es einfach
nicht gewohnt sind, nackte Körper zu sehen, die nicht unserem Ideal makelloser
Schönheit entsprechen. Da die Kamera auf mich zu keinem Zeitpunkt voyeuristisch
wirkt, die Protagonisten nicht zum Objekt der Belustigung des Zuschauers macht
(ein Gefühl, das mich bei Paradies: Hoffnung mehrfach beschlich), formuliert
Gloria ein starkes Statement dafür, dass auch einer Frau jenseits der 50 ein
erfülltes Sexualleben zusteht. Das mag trivial klingen, ist es aber
mitnichten.
Gloria ist aus feministischer Sicht in meinen Augen ein sehr
starker Film, der im Wettbewerb ganz vorne mitspielt und neben der
vorbildlichen Frauendarstellung auch noch immens unterhaltsam ist. Vor allem der
Soundtrack hat es mir angetan. Ich würde mir sehr wünschen, dass es der Film
eines Tages in unsere Kinos schafft. Aber irgendwas sagt mir, dass sich am Ende
dann doch keiner für die Irrungen und Wirrungen einer 58 jährigen Frau
interessiert...
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