© Berlinale/ Regie: Stephen Elliot |
Angelina (Ashley Hinshaw) führt das klassische Leben eines Hollywoodfilm-Unterschicht-Teenagers.
Die Mutter säuft, der Stiefvater ist mindestens aggressiv, wenn nicht gar
sexuell übergriffig, aber letzteres wird nur angedeutet. Von ihrem Freund lässt
sie sich überreden, Nacktfotos zu machen. Obwohl nicht unbedingt eine negative
Erfahrung, ist dieses Ereignis der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt
und gemeinsam mit ihrem besten Freund Andrew (Dev Patel) flieht sie nach San
Francisco, wo sie über den Umweg als Kellnerin in einer Strip-Bar zur
Pornodarstellerin wird. Ihre aufkeimende Liebe zu dem Anwalt Frances (James
Franco) wird im Keim erstickt, als sie entdeckt, dass dieser drogenabhängig ist.
Zunächst wirkt es interessant, dass das Pornogeschäft hier nicht
auf die altebekannte, schmuddelige Art und Weise dargestellt wird. Die erste
Person, die Angelina bei einer Porno-Produktionsfirma trifft, ist eine freundliche,
fast mütterliche Figur. Auffällig ist auch, dass das Thema Drogensucht sich
nicht innerhalb der Sphäre der Sexindustrie abspielt, sondern außerhalb.
Frances ist der einzige, der die blutjunge Angelina mit illegalen Substanzen in
Berührung bringt. Doch was zunächst wie eine revolutionäre Herangehensweise
wirkt, die auf Überdramatisierung und den moralischen Zeigefinger konsequent
verzichtet, wandelt sich in eine beunruhigende Beschönigung der Pornoindustrie.
Der Film hinterlässt im Kopf der weiblichen Zuschauerin die Frage: Warum habe
ich es eigentlich nie mit Sex vor der Kamera probiert? Eine Kritikerin flüstert
der anderen zu: „Sollen wir jetzt alle umschulen?“ Und die Männer im Publikum
begraben vermutlich gerade ihre letzten moralischen Skrupel und rennen direkt
in die nächste Videothek, um sich „Blutjunge Fickdinger 3“ auszuleihen.
Ein paar Stunden später bin ich immer noch irritiert vom
Ausgang der Geschichte, doch die Skepsis beginnt sich in Erkenntnis zu wandeln.
Handelt es sich hier vielleicht um ein unhappy happy ending, das uns bewusst
irritiert, um zu demonstrieren, dass es sich bei der Geschichte gar nur um ein
Märchen gehandelt hat? Zu unglaubwürdig ist am Ende die plötzliche Abwendung
Angelinas von ihrem wohlwollenden Kumpel Andrew, der über beide Ohren in sie
verliebt und die bestmögliche Partie ist. Dass sie sich in den letzten
Filmminuten wie von Zauberhand vom Objekt zum Subjekt wandelt, von vor der
Kamera hinter die Linse tritt, ist eine derart vereinfachte Konklusion, dass es
uns verunsichern muss. Wir sind gezwungen dieses Ende zu hinterfragen, uns mit
dem Thema auseinanderzusetzen. Die Frage ist nur: Machen das alle Zuschauer?
Oder rennen die Männer dennoch alle in die nächste Porno-Videothek?
Heather Graham bildet mit ihrer Darstellung einer lesbischen
Pornoregisseurin für mich den schauspielerischen Höhepunkt, während James Franco der
Rolle entsprechend verbraucht aussieht und beim Sprechen kaum die Zähne auseinanderkriegt.
Hauptdarstellerin Ashley Hinshaw sieht in erster Linie verführerisch aus. Die
Inszenierung ihrer Figur schafft es aber leider nicht, uns ihr wirklich nahe zu
bringen. Zu wenig nachvollziehbar ist ihr von jedem Zweifel befreites
Hineintauchen in die Sexarbeit.
Obwohl es der Film trotz seines Themas erstaunlich gut
vermeidet, voyeuristisch oder pornographisch zu sein, bleibt Angelina doch nur
ein Objekt, das wir uns gerne ansehen, statt einer Figur, mit der wir uns
identifizieren. Während auf die Stereotypen des Pornobusiness verzichtet wird,
werden locker flockig alle Stereotypen der Unterschichtenexistenz abgearbeitet.
Und auch James Francos Charakter - der gescheiterte Künstler mit ödipalem
Konflikt, der sich seinen Frust in Puderform durch die Nase zieht – bleibt im
Prinzip nur eine hohle Konstruktion.
So ist Cherry zwar ein kurzweilier Film, aber auch ein
moralisch höchst zweifelhaftes Werk, das für das Thema unangemessen seicht daher kommt. Mir ist es dann wohl doch lieber, wenn die
Pornoindustrie im Film stereotyp mit Drogensumpf und Misshandlungen einhergeht,
als dass sie derart auf Hochglanz poliert wird wie in diesem Film.
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