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© Warner Bros./ Regie: Stephen Daldry |
Schon in den ersten fünf Minuten, der Vorspann ist kaum
vorbei, wird mir klar, dass ich diesen Film nicht ohne ein Taschentuch
überleben werde. Ich muss also meinen Sitznachbarn, den ich glücklicher Weise
kenne, schon mal vorsorglich Anschnorren. Diese Taktik erweist sich als
sinnvoll, denn auf halber Strecke löst sich der fiese Kloß in meinem Hals dann
leider doch in Augen-Pippi auf. Peinlich, aber zum Glück ist es im Kino ja
dunkel.
Ich finde es ja eigentlich gar nicht so schlimm, bei einem
Film zu weinen. Was mich bei Extremely Loud and Incredibly Close aber so
nervt, ist der Fakt, dass der Film von Beginn offen dazu steht, dass der Druck
auf die Tränendrüse sein primärer Wirkungsmechanismus ist. Insbesondere die letzten
zwanzig Minuten bestehen aus einer regelrechten Folter. Stephen Daldry zieht
alle Register um auch dem emotional unterkühltesten Zuschauer noch ein
Tröpfchen abzuringen.
Dabei hat der Film diesen Mechanismus im Grunde gar nicht
nötig. Die Schauspieler spielen derart intensiv, dass selbst – oder vielleicht
gerade - die am wenigsten inszenierten Szenen, die auf die dramatische
Musikuntermalung verzichten, zu den emotionalsten werden. Dabei sticht vor allem die Leistung von Thomas Horn ins Auge, der hier das
erste Mal vor einer Kamera steht und die vielfältigen Emotionen seiner
komplexen Figur glaubwürdig und eindringlich zu vermitteln vermag. Auch Sandra
Bullock überrascht mich sehr in ihrem Portrait einer Mutter, die mit ihrer
Trauer und Schuld kämpft und gleichzeitig versucht, trotz ihrer Schwäche, eine Stütze für ihren Sohn zu sein. Fantastisch ist auch Max von Sydow, in dessen Mimik sich
all die Gefühle von Trauer und Schmerz zu spiegeln scheinen, die der junge
Protagonist so fleißig zu verdrängen sucht.
Dass Extremely Loud and Incredibly Close eine so
ergreifende Geschichte zu erzählen weiß, können wir leider nicht dem Film oder
seinen Machern zuschreiben. Das Lob muss an dieser Stelle dem Autor der
Romangrundlage Jonathan Safran Froer gelten. Was wir Stephen Daldry aber zugestehen müssen,
ist, dass er die psychologische Situation seines Protagonisten sehr in gut ins
filmische Medium zu übersetzen weiß. Die Angst des Jungen vor der Stadt an
sich, ihren Geräuschen und Gerüchen, die er stets als Gefahr empfindet, wird
für uns erlebbar. Negativ ist ihm leider anzulasten, dass er es nicht geschafft
hat, den Film auf eine befriedigende Art und Weise abzurunden. Sicher ist es
wichtig, am Ende alle Handlungsstränge zusammenzufügen und aufzulösen, doch ist
diese Auflösung zu lang und tränenreich geraten, um unangetastet stehen bleiben
zu können. Vielmehr beschleicht mich hier das unangenehme Gefühl, emotional
vergewaltigt zu werden. Noch eine Träne, noch ein Schluchzen, komm schon, raus
damit!
In der Geschichte von Extremely Loud and
Incredibly Close geht es um einen Jungen, der ein Jahr nach dem Tod seines Vaters durch
9/11 einen geheimnisvollen Schlüssel findet. Er ist davon überzeugt, dass sich
hinter diesem Schlüssel, oder vielmehr dem passenden Schloss, eine Nachricht
seines Vaters verbirgt. Auf seiner Suche nach der Lösung des Rätsels trifft er
auf zahlreiche Menschen, die alle auf die eine oder andere Art und Weise mit
einem Schicksalsschlag umgehen müssen. Hier offenbart sich für mich das wahre
Thema des Films. Es geht gar nicht so sehr um 9/11 als um die Bewältigung eines
traumatischen Erlebnisses allgemein. Konfrontation und Verdrängung werden
gegeneinander abgewogen. In der Person der Hauptfigur Oscar werden
psychologische Mechanismen offenbar, die in einer solchen Situation zu Tage treten – vielleicht ein paar zu viel auf einmal,
so dass der Film zuweilen wie ein universitäres Lehrstück wirkt.
Die ersten beiden Drittel werde ich noch in die Story
aufgesogen, dann aber überwiegt die Ablehnungshaltung gegen die ewig
melancholische, um nicht zu sagen depressive Stimmung. Ich nenne es das
Spielberg-Phänomen: Eine halbe Stunde weniger hätte die Qualität des Films um
ein vielfaches gesteigert. Schade, dass sich auch der Twist um den Untermieter
der Großmutter zumindest für mich vom ersten Moment an als vorhersehbar
gestaltet.
Stephen Daldry weiß, wie er den emotionalen Nerv seines
Publikums treffen kann. Es kommt wohl darauf an, wie offen man für derartiges
Hollywood-Kino ist. Für mich war es eine Portion zu viel. Dennoch rechne ich
dem Film die Auseinandersetzung mit dem Thema 9/11 positiv an. Wer gerne im
Kino heult, wird seine Freude haben… oder so ähnlich.
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