© Alamode Film/ Regie: Matthias Glasner |
Entweder ich bin für diesen Film von Matthias Glasner zu religiös,
oder nicht religiös genug, denn das Ende lässt mich ratlos und ziemlich
unbefriedigt zurück. Geht es hier um Ehrlichkeit, die Kraft der Beichte, Gott oder
zwischenmenschliche Vergebung? Ich kann das Gesehene einfach nicht richtig
einordnen.
Niels (Jürgen Vogel) geht mit seiner Familie nach Norwegen,
um einen Neustart zu wagen. Doch so richtig neu ist das Leben in dem fremden
Land eigentlich gar nicht. Die Ehe ist nach wie vor von Distanz gekennzeichnet,
Niels geht weiterhin fremd und auch der Sohn scheint von seinen Eltern
nachhaltig entfremdet zu sein. Eines Nachts fährt Niels‘ Frau Maria (Birgit Minichmayr) im
Dunklen jemanden an und begeht in ihrer Panik Fahrerflucht. Trotz der
kriselnden Beziehung zu Niels erzählt sie ihm von dem Ereignis. Fortan teilen
sie das schreckliche Geheimnis und kämpfen mit dem Gefühl der Schuld und dem
Bedürfnis, sich durch eine Beichte Erleichterung zu verschaffen.
Erst einmal zu den positiven Dinge an Gnade: Glasner hat mit
den Schneelandschaften Norwegens ein atemberaubendes Setting gewählt, dass er
gekonnt zu inszenieren weiß. Die Schauspieler verkörpern ihre Figuren
glaubwürdig und nehmen uns in ihren inneren Konflikt mit hinein. Die Stimmung ist
zeitweise fast unerträglich intensiv, doch leider schafft es die Dramaturgie
nicht, diese Intensivität über den gesamten Film zu retten. Da ist zu viel, was
überflüssig oder doch zumindest schwer einzuordnen ist, z.B. der Film, den der
Sohn (Henry Stange) mit seinem Handy filmt und der auch den Epilog von Gnade bildet.
Der Aufbau der Story ist in meinen Augen an sich großartig. Glasner
deutet immer wieder verschiedene Auflösungen der Situation an, schlägt dann
aber doch einen anderen Weg ein. Dadurch wird unsere Anspannung immer größer:
Wird die Wahrheit ans Licht kommen? Und wenn ja, wie werden die Konsequenzen
aussehen? Das Ende, für das er sich dann, entscheidet, gibt mir jedoch noch mehr
Rätsel auf. Durch den Chor, in dem Maria singt, wird eine religiöse Dimension
aufgemacht, die dann stiefmütterlich vernachlässigt wird. So weiß zumindest ich
letztendlich nicht, was es mit der Gnade, die die Geschichte übertitelt,
eigentlich auf sich hat.
Die Geschichte der Beziehung zwischen Niels und Maria ist
glaubwürdig und ergreifend. Durch das gemeinsame Geheimnis findet eine
emotionale und körperliche Annäherung statt. Niels beginnt die Hand nach
seiner Frau auszustrecken. Für mich ist der Moment, in dem er dies ganz
praktisch tut und der von einer (vielleicht etwas zu) rührenden Gesangseinlage
begleitet wird, geradezu magisch. Im Nachgang aber habe ich das Gefühl, dass
sich Glasner hier nicht entscheiden konnte, um was es in seinem Film wirklich
gehen soll. Es wäre für den Spannungsbogen und das Gesamtprodukt wohl besser
gewesen, den Schwerpunkt entweder klar auf die Beziehung oder den Umgang mit
der Schuld zu legen. Das hätte auch eine Kürzung des etwas zu lang geratenen
Films möglich gemacht.
Den Buh-Ruf am Ende kann ich dennoch nicht ganz nachvollziehen. Gnade ist trotz
allen Schwachstellen ein wirkungsvoller Film und die Fragen, die am Ende übrig
bleiben, sind ein guter Ausgangspunkt für eigene Überlegungen zum Thema Sünde,
Beichte und Vergebung. Von den vielen Interpretationen, die mir Gnade
ermöglicht, entscheide ich mich für die folgende: „Wer ohne Sünde ist, der
werfe den ersten Stein.“ Im Laufe der Handlung kommt es zu zahlreichen
Vergehen und Geständnissen, denen auf vollkommen unterschiedliche Art und Weise
begegnet wird. Was mir aber auffällt, ist, dass die Figuren eher in der Lage sind
zu vergeben, wenn sie selbst Schuld auf sich geladen haben. Das Verständnis für die Verfehlungen des
Gegenübers wird dadurch erleichtert. Jeder mag selbst entscheiden, wie er mit
seiner eigenen Schuld umzugehen gedenkt, doch uns allen muss klar sein, dass eben
niemand ganz ohne Schuld (= Sünde) ist und wir das in unseren Urteilssprüche über
unsere Nächsten berücksichtigen müssen. Ende der Moralpredigt.
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